Ein Kampf in schwarz-weiß
SCHAUSPIELHAUS / SCHACHNOVELLE
01/10/14 Ein Raum? Das Raucherzimmer eines Schiffs oder eine Gefängniszelle? Ein überdimensionales Schachbrett? Ein mit weißen Kordeln eingefasster Boxring oder doch eher das von der Reeling umschlossene Deck eines Schiffes? Die „Schachnovelle“ hatte Premiere am Schauspielhaus und überzeugt nicht nur durch ihre Darsteller.
Von Anna-Maria Schäfer
Wir befinden uns auf einem Passagierdampfer, unterwegs in Richtung Rio. Da ist, ganz in Weiß, McConnor (übertrieben und im Laufe des Stücks immer überzeugender gespielt von Magnus Pflüger), ein lauter und schriller Ölmagnat, der als wohlhabender Passagier die Reise auf dem Schiff als Bühne für sich selber nutzt. Er begrüßt den Zuschauer laut auf dem schwarz-weißen Feld, schmatzend Kaugummi kauend und erinnert an einen typisch amerikanischen Entertainer, dem man sich schutzlos ausgeliefert fühlt.
Und das ist Czentovic (Nenad Subat), der unscheinbare, schwarz gekleidete Mann, ein zurückhaltend, beobachtend, gar robotisch wirkender Weltmeister im Schach. Auch er ist unterwegs mit Ziel Rio, wo die nächste Meisterschaft auf ihn wartet. Und zu guter Letzt, in unscheinbarem Grau: der redegewandte Dr. B. (Theo Helm). Schon etwas älter, kultiviert, in sich gekehrt und ebenso auf großer Reise. Oder eher auf der Flucht?
Regisseurin Petra Schönwald hat unter Mitarbeit von Alina Spachidis die Bühnenfassung der „Schachnovelle“, einem der berühmtesten Texte Stefan Zweigs, erstellt. Die Bühne von Tobias Kreft steht für vieles – genau wie die Protagonisten. Dominierend und immer gleich bleibend ist in dem von Regisseurin Petra Schönwald beeindruckend umgesetzten Werk vor allem das Duett aus Schwarz und Weiß.
Eindringliche Töne, wummernde Pulsschläge und elektrisch anmutende Musik (Georg Brenner) untermalen die Szenerie. Strahlende Lampen (Licht Marcel Busa), die auf grelle Art und Weise für Las Vegas-Glücksspiel-Stimmung sorgen, unterstützt durch McConnor als Elvis-ähnlichen Showmaster: Ein originelles und mitreißendes Zusammenspiel aus Licht und Ton, das hervorragend zum Bühnenbild passt.
Und dann das Duell. Ein kurzer Triumph und ein langes schmerzhaftes Verlieren, ein Spiel im Spiel. McConnor, der den Weltmeister am Schachbrett herausfordert, verliert, und erzielt bei der zweiten Runde mit Müh und Not ein Remis – einzig und allein durch die spontane Unterstützung des wie aus dem Nichts auftauchenden Dr. B., znächst aus dem Hintergrund eingreifend, dann im Rampenlicht stehend. Ein Schachprofi?
Je näher Dr. B. selbst dem unausweichlichen Duell mit dem Weltmeister Czentovic kommt, umso größer sein innerer Kampf. Wie man im Schach gewinnt, hat er sich in der Zeit als Gestapo-Gefangener notgedrungen antrainiert, er beherrscht die richtigen Züge theoretisch wie aus dem Effeff. Doch wer beherrscht ihn? Je greifbarer das entscheidende Schachspiel auf dem quadratischen Feld ist, umso bedrängter sein eigenes Lebens-Spielfeld.
Mitreißend und eindrucksvoll, voller Schmerz und Verzweiflung durchlebt Dr. B. seine Zeit in der Isolationshaft als Opfer des Nationalsozialismus noch einmal auf schwarz-weißem Untergrund. Dem Zuschauer wird dessen Qual der Einsamkeit und die panische Angst vor dem „Nichts“, bewusst. Diesen inneren Schmerz Dr. B.’s stellt Ensemblemitglied Theo Helm auf ergreifende und schmerzhaft überzeugende Art und Weise dar. Er liegt, er bebt, er springt im Viereck, er stemmt Möbel, und jede dieser Taten zeugt von purer Verzweiflung im Kampf gegen die Erinnerung.
Die zermürbende Taktik der Langsamkeit des Weltmeisters prallt auf die Getriebenheit des ehemaligen Häftlings, der sich nun selbst vollends verliert. Zurück bleiben auf der Bühne ein in den Wahnsinn seiner Schachmanie getriebener Dr. B. und zwei menschengroße Spielfiguren – sowie die Frage, ob diese Schifffahrt jemals stattgefunden hat, oder nur eine zermürbende Partie im Kopf des noch immer gefangen scheinenden Dr. B’s darstellt. Dazu die Erkenntnis: Tiefen inneren Schmerz mit anderen zu teilen, das scheint unmöglich.
Hier lässt sich die Parallele zum Verfasser des literarischen Textes ziehen: Stefan Zweig, der aus Schutz vor den Nationalsozialisten ins brasilianische Exil geflüchtet war, nahm sich dort nach Verfassen der Schachnovelle im Jahr 1942 das Leben. Perspektivlos, heimatlos, resigniert. „Sie sollten nicht zu viel erwarten“, sagt Dr. B. in der „Schachnovelle“ mehrfach bezogen auf seine Spielkunst. Und er wird den hohen Erwartungen daran tatsächlich nicht gerecht. Für diese Inszenierung gilt das nicht.