Sessel-Keulen und der Strick für die Hexen
SCHAUSPIELHAUS / HEXENJAGD
19/09/14 Warum John Proctor so selten in die Kirche geht? In einer der ersten Szenen von Arthur Millers „Hexenjagd“ erklärt er es: Weil dort viel öfter vom Teufel als von Gott geredet werde. Mit anderen Worten: Wer den Teufel andauernd an die Wand malt, braucht sich nicht zu wundern, wenn ihn viele Leute um die Häuser schleichen sehen – der Ausgangspunkt für Fundamentalismus jeder Art.
Von Reinhard Kriechbaum
Reverend Samuel Parris ertappt seine Tochter und andere Jugendliche dabei, wie sie nächtens nackt im Wald tanzen. Ein Hexensabbat, ein Bund mit dem Satan? Heutzutage würde ein Vertreter der Leitkultur die Hexen vielleicht dort finden, wo gelegentlich ein Schaf geschächtet wird. Oder unter Migranten, die angeblich unser Sozialsystem ausnutzen. Unter Schwulen und Lesben sowieso. Die russischstämmigen Ukrainer finden ihre Hexen in Kiew, die Schotten in London und die Katalanen in Madrid. All das sind nur Variationen in unterschiedlichen Härtegraden. Und: Je autoritärer eine Institution, desto klarer die Hexen. Putin und die katholische Kirche treffen sich nicht von ungefähr bei der blindwütigen Verdammung gleichgeschlechtlicher Liebe.
Insofern ist Millers öfters auch verfilmte „Hexenjagd“ ein zeitloses Stück – und wirkt doch, wie sich nun in einer ambitionierten Aufführung im Schauspielhaus zeigt, mehr als angestaubt. Als Arthur Miller 1953 „Hexenjagd“ schrieb, waren natürlich die McCarthy-Ära und die blindwütige Jagd auf vermeintliche Kommunisten gemeint. Der Rückgriff auf eine (wahre) Hexenverfolgungs-Story im 17. Jahrhundert war eine literarische Flucht aus Notwendigkeit. Prompt hat Miller die Aufmerksamkeit jener auf sich gezogen, die nach „unamerikanischen“ Umtrieben suchten...
Heute ginge es anders: Man könnte die Protagonisten ruhig beim Namen nennen, von Putin über den Vatikan bis Strache. Da brauchte es die historische Folie nicht. Dass in den USA auch heute noch allerlei religiöse Fundamentalisten, von Mormonen über Quäker bis zu (teils sogar katholischen) Kreationisten das Sagen haben, kratzt uns in Good Old Europe wenig.
Also durchaus keine leichten Startbedingungen für ein Theaterstück, für das man im Schauspielhaus tolle Typen breit hat. Von den alten Recken (Harald Fröhlich, Georg Reiter, Olaf Salzer) bis zu ganz Jungen aus der hauseigenen Schauspielschule. Diese wirklich sympathischen Jung-Hexen lügen sich draufgängerisch aus dem pubertären Schlamassel und setzen einen Kreislauf der Denunziation in Gang, der Dorfbewohner zu Dutzenden an den Galgen bringt.
Regisseurin Maya Fanke setzt auf die Angebote aus dem Ensemble. Die quirlig-persönlichkeitsstarke Kristina Kahlert muss sich wohl gar nicht so verstellen für die gefährlich temperamentvolle Abigail, die Wortführerin der Jung-Hexen. Die ätherische Mary (Alexandra Sagurna) ist genau das Gegenteil – die klassische Mitläuferin, die sich dann aber einen Ruck gibt und mit der Wahrheit herausrückt. Diese will freilich keiner hören.
Harald Fröhlich ist Reverend Parris, der sich Hilfe holt bei einem Kollegen: Dieser andere Pastor, John Hale (Theo Helm), versucht es mit Vernunft und Moderation – aber er muss einsehen, dass beides nichts fruchtet, wenn die Volksseele erst mal kocht. Er steht auf aussichtslosem Posten. Die Hauptperson des Dramas ist John Proctor. Martin Brunnemann gibt diesem Bauern, der das Lug-Getriebe der Mädchen von Anfang an durchschaut, kräftige Linie. Sophie Hichert ist seine Frau Elizabeth, die als eine der wenigen im Ensemble mit leisen Tönen überzeugt. Emotionale Zurückhaltung ist generell keine Tugend der Inszenierung von Maya Fanke. Es wird getobt, geschrien, und die einzigen Requisiten, je nach Szene drei bis sieben Sessel, werden meist wie Keulen geschwungen. Die Dauer-Randale ermüdet durchaus und nimmt dem Stück an Brisanz.
Es ist ein personenreiches Stück. Viele müsste man noch nennen. Georg Reiter hat einige starke Szenen als grobschlächtiger Eigenbrötler Giles Corey. Olaf Salzer ist Richter Hathorne, ein herablassender, zynischer Kerl. Wenn die Jung-Hexen (neben Kristina Kahlert und Alexandra Sagurna noch Magdalena Oettl, Emily Schmeller) vor dem hohen Gericht ihre Visionen ausleben, mag man das als maßlos überzeichnet empfinden. Aber es ist wohl auch im echten Leben so, dass nichts zu dumm ist, als dass man es nicht einer Mehrheit der Leute mit Erfolg einreden könnte. Genau das ist die zeitlose Erkenntnis aus dem Stück. „Hexenjagd“ rechnet mithin nicht zu Unrecht zum klassischen Kanon des amerikanischen Theaters.