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Netzwerken am seidenen Faden

WINTERFEST / CIRKUS CIRKÖR

30/11/23 Geige spielen im Sitzen oder im Stehen? Das mag etwas sein für Anfänger. Am durchhängenden Seil balancierend, ist's schon eine deutlich größere Herausforderung. Und das einbeinig! Wenn dem musizierenden Artisten aber dann noch das Einrad hinaufgereicht wird, verschlägt's einem endgültig die Sprache.

Von Reinhard Kriechbaum

Übrigens braucht dieser Wundergeiger im Notfall gar keinen Bogen. In dem Stück Knitting Peace des schwedischen Cirkus Cirkör, der das Publikum der Winterfest-Eröffnung am Mittwoch (29.11.) zu standing ovations hingerissen hat, findet sich zwar kein edles Rosshaar, aber Fäden, Fäden, Fäden. In einer Szene führt der Ton/Balance-Künstler die Saiten ein solches Seil entlang, auf dem soeben noch eine Kollegin balanciert ist. Auch so entlockt er dem Instrument eine Melodie, klinkt er sich ein in die charismatische Musik des Multiinstrumentalisten hoch oben im Bühnenhintergrund.

Fäden über Fäden also. An solchen ziehen die Nornen und bestimmen damit das Geschick der Menschen. Die Fädenzieherei ist aber eine auch in anderen Kulturkreisen gängige Vorstellung von Schicksal, das – wie derzeit der Weltfriede – durchaus am seidenen Faden hängen kann.

Hilft es also, möglichst viele Fäden zu verknüpfen und darauf zu hoffen, dass sich Friede, je engmaschiger das Gewebe, umso nachhaltiger einstellt und hält? In Knitting Peace sind drei Artistinnen und zwei männliche Kollegen jedenfalls anderthalb Stunden lang aufs Intensivste am Verknoten. Das kann seine Tücken haben, wie wir schon zu Beginn sehen, wenn eine von ihnen aus einem dicken Garn ein Netz flicht, das sich aber gleich wieder in Nichts auflöst. Luftknoten haben ihre Tücken!

Aber was wir an diesem Abend auch immer und immer wieder erleben: wie sich diese grandiosen Seilkünstler die fragilsten und unübersichtlichsten Gespunste hinauf hanteln, wie diese Menschen ins Nichts zu fallen scheinen und sich doch mit den Fußgelenken in irgendeiner Masche auffangen. Ein Netz dient also nicht nur der Sicherheit, wenn es unten waagrecht gespannt ist. Das wäre für die Akrobaten des Cirkus Cirkör eine gar zu banale Sache. Das Netzwerken bringt einen vorwärts und nach oben. Eigentlich eine geläufige Vorstellung, aber hier wird sie auf denkbar poetischste Weise sichtbar gemacht.

Kleine Stoffpuppen sind da, aus deren Körpern man Fäden ziehen kann. Auch die Artisten ziehen manchmal Fäden aus ihren Kostümen, mit denen andere sie bewegen oder an denen sie sich in immer wieder neuen equilibristischen Varianten weiterbewegen. Irgendwie sind sie alle Einzelkämpfer, und doch auf imaginative Weise miteinander verbunden, aufeinander angewiesen. Das hat seinen eigenen langsamen Rhythmus, zu dem die eher aufgeregte Livemusik mit elektronischen Loops von Samuel „Looptok“ Anderson in einem konstruktiven Kontrast steht.

Das Wort „Luftmasche“ bekommt in dieser Produktion eine ganz anschauliche Bedeutung. Irgendwo und irgendwie bilden sich immer Schlingen, die Körper und Fäden verbinden. Eine waghalsig anmutende Nummer: Da macht eine Artistin Umschwünge und dergleichen auf einer Strickleiter, deren Sprossen ausschließlich durch die gedrehten Seile gehalten werden. Mit dem Ausdrehen der Schnüre entpuppt sich das filigrane Gebilde als trügerisch – und obwohl eine Sprosse nach der anderen zu Boden fällt, kommt die Artistin ganz oben an. Poesie und Körperbeherrschung gehen beim Cirkus Cirkör eine gar wundersame Symbiose ein, im Spannungsfeld zwischen unglaublicher Muskelkraft auf der einen Seite und dem Filigran der zarten Seilschlingen auf der anderen. Der Name der Compagnie ist ein Kunstwort, hinter Cirkör steckt französisch cirque und coeur. Zirkus und Herz: Wie schön wird das hier eingelöst!

Bis 17. Dezember im Theaterzelt im Volksgarten – Nächste Premiere morgen Freitag (1.12.), 18 Uhr: der Cirque la Compagnie mit „Pandax“ – Das Winterfest dauert bis 7. Jänner – www.winterfest.at
Bilder: Winterfest / Magdalena Lepka (4); Mats Baecker (1)

 

 

 

 

 

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