Bis zum Knöchel im braunen Morast
SCHAUSPIELHAUS / NACHTLAND
20/11/23 „Wo kämen wir hin, wenn wir alle, die Hitler verehren, gleich als Nazis beschimpfen?“ Ja, wo kämen wir da hin. Jedenfalls empfiehlt sich ein gewisser Pragmatismus. Vor allem wenn man plötzlich ein Bild findet, das die große Kohle verspricht. – Marius von Mayenburgs Nachtland, eine gar böse Komödie, im Schauspielhaus Salzburg.
Von Reinhard Kriechbaum
Hochbetrieb beim Entrümpeln. Nicola und Philipp sind mitsamt Ehepartnern dabei, den Haushalt des eben verstorbenen Vaters aufzulösen. „Auflösen – wie in einem Säurebad“, sagt Philipp sarkastisch. Der innerfamiliäre Routine-Hickhack bekommt mächtig Auftrieb, als man auf einem grottenschlecht gemalten Kitsch-Aquarell die Signatur entziffert. A. Hitler! Wer hat schon so etwas auf dem Dachboden! Die Hochnotpeinlichkeit des Fundes weicht rasch einer realistischen Einschätzung. Ein solches Bild bringt was auf dem Schwarzmarkt. Das verfängliche Erbstück einfach verschwinden lassen? „Kunst verbrennen, so was machen nur die Nazis“, sagt einer scheinheilig. Eine Kunstsachverständige bestätigt die Echtheit. Sie erkenne das am Strich, „von unten herauf nach rechts“, erklärt sie. Und am Rahmen, aus der Werkstatt eines gewissen Samuel Morgenstern. Ungläubiges Staunen. Hitler habe bei einem jüdischen Rahmenmacher arbeiten lassen? „Wir heizen auch mit russischem Gas. Ausnahmen müssen Sie auch Hitler zugestehen“ sagt die Kunstkennerin.
Die Pointen purzeln, Marius von Mayenburg weiß als produktiver Theaterpraktiker, was sitzt und ankommt. Er hat viel recherchiert. Die Sache mit Samuel Morgenstern zum Beispiel ist belegt. In dem im Dezember 2022 in Berlin uraufgeführten Stück Nachtland geht es um scheinheilige Verdrängung der Vergangenheit, um latenten Antisemitismus. Es braucht nicht viel, um aus scheinbar unauffälligen Normalbürgern Rassisten zu machen. „Wie die Alten sungen...“, heißt das Sprichwort. Diese Nachgeborenen hier, spinnefeind einer dem anderen, zwitschern erstaunlich einmütig, als der Verkauf des Bildes 100.000 Euro verspricht. Freilich braucht so ein „echter Hitler“ einen „Stammbaum zurück bis zum Führer“. Da gehört also die Familiengeschichte einschlägig nachgebessert. Flugs holt man die schon in der Mülltonne entsorgten Säcke mit Briefen wieder hervor – schließlich gilt es, die Nähe der Vorfahren zu den Nazis zu dokumentieren. Ein Ring der verstorbenen Großmutter scheint bestens ins braune Bild zu passen.
So richtig hinterhältig fällt die Kritik an einer Gesellschaft, die zumindest bis zum Knöchel (wenn nicht tiefer) im braunen Morast steht, freilich nicht aus. Marius von Mayenburgs hat in den krassen Text viel hinein gepackt und spekuliert immer mit spontanen Lacher. Genau in diese Richtung geht auch die Inszenierung von Sarantos Georgios Zervoulakos im Schauspielhaus-Studio. Da wird outriert auf Teufel-komm-Raus.
Petra Staduan und Theo Helm sind die Geschwister Nicola und Philipp. Dass Philipps Frau Judith (Sophie Fischbacher) Jüdin ist, befeuert den Disput nachhaltig. Philipp wiegelt ab. Sie esse nicht koscher, eher vegetarisch. Sie sei „in erster Linie vegetarisch, dann erst jüdisch.“ Isabella Wolf ist die selbsternannte Kunstexpertin. Antony Connor in einer Doppelrolle ist dann auch der „Kunstkäufer“ – auch er ein bekennender Nazi-Sympathisant, der aber trotzdem einer Hotelnacht mit der jüdischstämmigen Frau nicht abgeneigt wäre. Dieser Seitenstrang in der Handlung lenkt mehr vom Grundthema ab als er es zuspitzt. Auch eher unnötig, die Frage von (unverdächtigem) Kunstwerk gegenüber seinem politisch radikalen Schöpfer mitzuverhandeln: „Das Werk ist klüger als sein Schöpfer.“
Der Regisseur verantwortet auch die simple Ausstattung. Alle tragen uniforme Trainingsanzüge mit der Aufschrift „Erbenkreis“ auf dem Rücken. Damit sollen wir vielleicht daran erinnert werden, dass in jedem Normalo im Ernstfall ein Wendehals steckt, der die Vergangenheit schönzureden bereit ist, wenn nur die Kasse stimmt.
Aufführungen bis 11.Jänner 2024 im Schauspielhaus-Studio – www.schauspielhaus-salzburg.at
Bilder: Schauspielhaus Salzburg / Jan Friese