Nicht nur in der Adventzeit
SALZBURGER STRASSENTHEATER / ALLES HEILIGE
19/07/19 Das Salzburger Straßentheater hat heuer das erste Mal ein Stück aus der Taufe gehoben: Alles Heilige von Stephan Lack geht auf Tournee durch Stadt und Land.
Von Werner Thuswaldner
„Tjo, tjo i ri, tjo, tjo i ri, tjo, tjo ri ridi, ho etjo i ri“ – Wer vermutet, dass es sich hier um die Wiedergabe einer exotischen Sprache handle, liegt völlig falsch. Wer dagegen tippt, es gehe um einen Auszug aus einer Lehrstunde von Loriot zur Erlangung des „Jodeldiploms“, kommt der Lösung schon recht nahe. Experten – und die gibt es in Salzburg scharenweise – erkennen auf Anhieb: Das ist der Beginn des „Andachtsjodlers“, der verlässlich jedes Jahr einen Höhepunkt im Programm des Adventsingens markiert.
Dass der Andachtsjodler mitten im Sommer angestimmt wird, ist eher ungewöhnlich, weil er traditionsgemäß mit dem vorweihnachtlichen Geschehen verbunden ist. Aber in der diesjährigen Produktion des Straßentheaters ist dies eine Absurdität unter vielen anderen.
Erstmals ist extra für das Straßentheater eine eigene Spielvorlage geschaffen. Geschrieben hat sie der Autor Stephan Lack, und er lässt so viele Motive und Handlungselemente aufeinanderfolgen, dass sich daraus, würde sich jemand die Mühe machen, das geballte Konvolut aufzudröseln, eine mehrteilige Serie machen ließe. So etwa wäre die Geschichte, in der ein bodenständiger Adventchor nach Bahrain eingeladen wird, bereits abendfüllend. Denn der abendländische Weihnachtsstoff muss so adaptiert werden, dass er mit dem Koran kompatibel ist. Das wird in zugespitzten theologischen Erörterungen, die das Auffassungsvermögen eines normal Sterblichen bei weitem überfordern, geklärt. Ein junger Mann will sich von zu Hause abnabeln, um nach ausführlichen Querelen mit den Eltern eine Karriere als Sänger zu wagen. Ein Alkoholiker wird nach einer langen Trockenphase wieder rückfällig. Die Probleme eines in der Stummheit endenden Ehepaars werden thematisiert. Und wer eine Castingshow – die Bosse tragen golden glitzernde Jacketts – einmal hautnah erleben will, kommt auch auf seine Rechnung. Dies und noch vieles mehr hat der Autor aneinandergereiht. Immer wieder blitzen zur Freude des Publikums Pointen auf, von derb bis subtil ist alles dabei.
Eine liebevoll arrangierte Bretterbude (Alex Linse, Harald Schöllbauer) und originelle Kostüme (Andrea Linse) sind Ausdruck für professionelles Niveau. Mit den musikalischen Nummern von Marc Seitz macht das Ensemble besonderen Effekt.
Das Straßentheater wird, wie der Besetzungszettel zeigt, vom Totaleinsatz der Familien Clementi und Linse getragen. Georg Clementi hält das Ensemble als Regisseur auf Trab und trägt als Darsteller die Züge eines unguten amerikanischen Produzenten. Anja Clementi setzt sich als energische Familienmutter ein, während Sohn Paul Clementi die ersten Sprossen einer Karriere als Sänger erklimmt. Auch bei den Hirtenkindern taucht ein Clementi auf. Diese schlagfertigen Kinder haben es übrigens faustdick hinter den Ohren. Die herausragenden Protagonisten des Linse-Clans sind Alex als leidensfähiger Familienvater, dessen Frau (Larissa Enzi), die zeitweise die Stimme verliert und ausdrucksstark gestikulieren muss. Auch die Linse-Familie steuert ein Hirtenkind bei.
Etliche clanfremde Darsteller gibt es auch: Andreas Goebel verbreitet als Hauptstütze des Adventchors gute Laune, Eric Lebau ist mit seinem aparten französischen Akzent dabei, Marcus Thill ist eine stimmliche Bereicherung, und Anna Knott fällt durch belebende Umtriebigkeit auf.
Was man während der Aufführung lang für unmöglich hält, stellt sich am Ende aber doch ein: Alles löst sich nach undurchschaubarer Verwirrung in Wohlgefallen auf.