Eine Parade von Holzschnitt-Figuren
LANDESTHEATER / GESCHICHTEN AUS DEM WIENER WALD
04/02/19 Er arbeite jetzt „mit der Arbeit der anderen“ - das ist eines der ersten Dinge, die wir über Alfred erfahren, den chronisch finanzschwachen Schwerenöter. Der charmante Tunichtgut verdreht der jungen Marianne den Kopf, und das ist der Beginn einer ruinösen Beziehung.
Von Reinhard Kriechbaum
Menschen, die „mit der Arbeit der anderen“ arbeiten, gibt es auch heutzutage. Eher rennen sie einem einfachen Mädel wie Marianne nicht über den Weg, es sind ja eher volksferne Manager globalisierter Unternehmen. Das ist aber schon der einzige Unterschied. Wer ihnen heute zwangsläufig ausgeliefert ist (oder freiwillig auf den Leim geht wie Marianne) ist in unserer Zeit nicht minder arm dran wie damals.
Ende der 1920er Jahre hat Ödön von Horváth seine Geschichten aus dem Wiener Wald geschrieben. Da war Weltwirtschaftskrise, und man versteht Mariannes Vater, den „Zauberkönig“ schon, dass er die Tochter dem benachbarten Fleischer zur Frau geben will. Der hat eine sichere Hack'n, sie macht also eine gute Partie.
Populisten spielen genau mit jenen Absteiger-Ängsten, malen Situationen an die Wand, die Ödön von Horváth seine Figuren tatsächlich erleben lässt. Mariannes Lebens-Schiffbruch auf der Bühne so vorzuführen, dass er unter die Haut geht, sollte keine wirkliche Herausforderung sein. Die Geschichten aus dem Wiener Wald sind so heutig, man könnte sie ruhig auch in Klamotten der Zwischenkriegszeit spielen.
Das geschieht im Salzburger Landestheater nicht. Da sind schon die Kostüme so krampfhaft ins Heute geholt, dass man sich als Publikum von Theater-Oberlehrern bei der Hand genommen fühlt. Mit Lederhosen und Trachtenjankern geht die Ausstatterin Stephanie Seitz verschwenderisch um. Dieser starke Hauch des Lokalen kontrastiert mit der drehbaren weißen Fliesenwand, die eine konkrete Verortung versagt. Vor der Tür des Fleischers Oskar hängt ein geschlachtetes Schwein, ein ebenfalls an der Schnur herabgelassenes Skelett steht für die Puppenklinik des Zauberkönigs.
Ödön von Horváth wollte für dieses Stück dezidiert keine Umgangssprache, keinen Dialekt. Er erzählte Geschichten aus dem Wiener Wald, die sich damals wie heute überall hätten ereignen können und ereignen. Dem steht in dieser Aufführung, die mit der weißgekachelten Bühne so modernistisch unrealistisch sein will, viel tönender Lokalkolorit entgegen.
Walter Sachers, der Zauberkönig, hat das charakteristische „l“ des Wiener Slangs drauf. Gregor Schultz ist als Erich ein strammer Burschenschafter mit schwarz-rot-goldener Schärpe. Vielleicht besucht er bald den Ball von Seinesgleichen in der Hofburg. Absolut kontraproduktiv ist die ausufernd-plakative Saufszene. Da wird auf Langstrecke nervenstrapazierend krakeelt und gesungen (sogar Franz Supper aus dem Opernensemble hat man dazugeholt): „Mei Muatta war a Weanarin“, „Jetzt trink ma no a Flascherl Wein“... Was mag das Ziel einer solcherart aufgeblähten Szene sein? Sollen wir uns darin wiederfinden?
Dieses Stück wäre uns so nahe, dass man kein Theater daraus und drumherum dazu machen müsste. Eigentlich brauchte es nur Schauspieler. Richtig gute Schauspieler. Marianne, die also den Verlobten Oskar aufgibt zugunsten des Blenders Alfred und damit in ihr Verderben schlittert, ist in Salzburg in ein recht groteskes Sammelsurium aus Holzschnitt-Figuren geraten. Sie sind samt und sonders eindimensional und vordergründig gezeichnet. Selbst alte Bühnenhasen wie Walter Sachers (der Zauberkönig) geraten weit über den Rand zum Outrieren hinaus. Britta Bayer darf als Valerie ihre Verhärmtheit vor sich hertragen. Der Ton wird rasch laut und aufdringlich. Fürs Gefühlsbrodeln reicht Spirituskocher eines Stadttheaters allemal.
Mit Überzeichnung und Übertreibung hat Carl Philip von Maldeghem in seiner Inszenierung generell nicht gespart, und das macht die Sache für Sascha Oskar Weis (Alfred), Christoph Wieschke (Oskar) und Nikola Rudle (Marianne) nicht gerade einfach. Sie alle haben im Lauf der Szenenfolge Momente, in denen sie glaubwürdig wirken. Berührend eher nicht. Die Menschen hinter den Protagonisten bleiben an diesem Abend eigentümlich fern.
Vielleicht will Carl Philip von Maldeghem mit einer Figur, der Großmutter, sogar ganz leise Kritik an der nach wie vor dominant-katholischen Prägung gerade bürgerlicher Schichten am Ort äußern. Die querständig mit einer ganz jungen Schauspielerin (Janina Raspe) besetzte Figur thront wie eine Madonna in einer Nische. Diese Allegorie der Bigotterie – die Großmutter sorgt für den Tod von Mariannes unehelich geborenem Kind – ist ja vielleicht die monströseste Figur im Stück. An dieser Messlatte der Bosheit müss(t)en sich alle anderen messen lassen. Das wäre ein Interpretationsansatz, der aber auch nicht weiter verfolgt wird.
Das Premierenpublikum reagiert eigentlich immer wohlwollend, und das war diesmal nicht anders. Spezielle Ovationen für Carl Philip von Maldeghem gab es aber nicht.