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Mein Gesang schwebt wie ein Vogel

LANDESTHEATER / DIE PERLENFISCHER

22/04/24 Der Abend hat mit einem Glas Sekt fürs Publikum begonnen, denn der rettende Tenor war noch nicht da: Luke Sinclair hätte den Nadir in Bizets Perlenfischern singen sollen, war aber kurzfristig erkrankt, Miloš Bulajić, Ensemblemitglied der Staatsoper unter den Linden, wurde am Samstag (20.4.) aus Berlin eingeflogen.

Von Reinhard Kriechbaum

Rauf aufs Podium und singen also! Unglaublich, wie flauschig und unangestrengt man die extremen Höhen der Romanze des Nadir Je crois entendre encore nach einem, wie der Intendant anschaulich schilderte, alles andere als friktionsfreien Reisetag hinkriegen kann. Die beiden Highlights, das Männerduett Au fond du temple saint und besagte Arie des Nadir brennen ja schon im ersten Akt der Perlenfischer ab. Da blieb dem Einspringer kaum Gelegenheit, sich einzuhören in die Gesangspartner und in die Raumakustik. Hat schließlich alles doch bestens funktioniert, Miloš Bulajić wurde von den Zuhörern verdientermaßen mit jubelnder Herzlichkeit eingedeckt. Der Sänger war übrigens 2014 schon mal in Salzburg, beim den Young Singers Project der Salzburger Festspiele. Da hat er in Jugendproduktionen mitgewirkt.

Fünfzehn Opern gäbe es von Georges Bizet. Carmen, die letzte, steht sowieso außer Konkurrenz. Eine der ersten, die 1863 komponierten Les Pêcheurs des perles, gilt heutzutage zwar nicht als Rarität, ist aber auch nicht gerade ein Liebkind. In der Regietheater-Ära haben es Opern schwer, mit denen man szenisch herzlich wenig anstellen kann („Augen zu und durch!“ titelten wir anlässlich einer Produktion vor drei Jahren in Graz).

Eine konzertante Aufführung ist eine vernünftige Alternative, auch die Festspiele haben sich 2018 für diese Variante entschieden. Da hat übrigens der damals 77jährige Placido Domingo die Partie des Zurga gesungen – jenes ceylanesischen Eingeborenenkönigs, der aus treuer Freundschaft zum Jäger Nadir auf jene ganz tolle Frau verzichtet hat, in die sich beide verliebt hatten. Beide versichern nun einander, auch fortan die Finger von Leïla zu lassen (darum geht’s im Duett-Gassenhauer). Die Männer-Seilschaft in Sachen Liebesverzicht hält freilich nicht. Anstatt singend und betend Gott Brahma günstig zu stimmen, während das Volk nach Perlen taucht, lässt Leïla sich ja doch auf Nadir ein. Aber a propos Perlen: Einst hat sie einen jungen Unbekannten vor Verfolgern gerettet, und der hat ihr aus Dankbarkeit eine Perlenkette geschenkt. Der junge Mann war Zurga, der jetzt vor Eifersucht rasende König – der aber angesichts der neuen Situation dem Liebenspaar zur Flucht verhilft. Ein sehr unbefriedigendes Opernfinale, wie überhaupt die Perlenfischer gute Chancen hätten in einem Wettbewerb um das einfältigste Libretto.

Aber im Wettbewerb um die süffigste Musik: Da spielte das Werk des 25jährigen Bizet alleweil ganz vorne mit. Erwartungen an tönende Exotik muss man zurückschrauben. Das Spanische in Carmen macht sich ja sozusagen von allein, aber tönt der Lokalkolorit von Sri Lanka? Davon hatte man in Frankreich, wiewohl Kolonialmacht, um die Mitte des 19. Jahrhunderts herzlich wenig Vorstellung. Bizets Musik ist ur-französisch, gewürzt mit ein wenig Italianità, die er als Rom-Stipendiat aufgesogen hatte.

Leslie Suganandarajah dirigiert das Mozarteumorchester. Dieses hat schon damals bei den Festspielen die Perlenfischer gespielt, damals unter Riccardo Minasi. Im Gegensatz zu diesem Analytiker, der manch Halbseidenes in der Partitur aufdeckte, macht Suganandarajah vieles richtig im Umgang mit dem Werk, das das von der großen vokalen Gestik lebt: Natürlich darf man sich freuen über den erst vom Streichquartett unterlegten, dann von der Flöte und Streichertremolo getragenen religiös-zeremoniellen Auftritt der Leïla. Und ihre Arie mit Solocello und gar wundersamem Hornsolo nebst allerlei Holzbläsergefunkel wurde natürlich auch glitzernd ausgemalt. Aber Leslie Suganandarajah spürt auch genau, wo es gilt, den Blick vom Detail wegzumehmen und ganz auf die süffige Linie zu setzen.

Überraschendes findet sich ja doch immer wieder: Nadirs zweite Arie, nur von der Harfe begleitet, erinnert so fatal an die Eröffnung der Cavalleria rusticana. Ist's Zufall oder hat Mascagni Jahrzehnte später abgekupfert?

Viel Jubel für die Sänger: Nina Solodovnikova als Leïla betört mit spielerisch leichten Koloraturen („Mein Gesang schwebt wie ein Vogel“) und hat ebenso überzeugend warmen lyrischen Melos anzubieten, ganz wichtig in den Passagen mit Nadir, wenn Miloš Bulajić seinen tenor aufblühen lässt. George Humphreys hat seine Stärken im Dramatischen. Das leichtere Parlando, das bei der Begegnung mit Nadir im ersten Akt gefragt wäre, ist weniger das Seine. Raimundas Juzuitis ist ein gestrenger Hoherpriester Nourabad mit nötiger Schwärze im Timbre. Wollen wir nicht an dem in dieser Aufführung eher unterbelichteten Französisch herummäkeln.

Ganz wichtig: Chor und Extrachor, einstudiert von Carl Philipp Fromherz, haben viel zu tun in den Perlenfischern, weil ja all die Tageszeiten- und Wetter-Stimmungen in entsprechenden Chor-Tableaus ausgemalt werden. Auch da spürt man den dramaturgisch lenkenden Atem vom Pult her. Manch melodisch doch eher banaler Chor-Einwurf wird von Leslie Suganandarajah aufgefangen und umgemünzt in in den betörenden Gestus einer Grand' Opera.

Weitere konzertante Aufführungen am 28. April, 12. und 18. Mai – www.salzburger-landestheater.at
Bilder: www.operabase.com (1); Salzburger Landestheater / Tobias Witzgall (3)

 

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