Licht und Schatten in Nimmerland
LANDESTHEATER IM ZIRKUSZELT / PETER PAN
13/06/22 Peter Pan wirbelt durch das Theaterzelt. Poetisch, zaubrisch. Tatsächlich für die ganze Familie. Dabei es ist – dank einer erstaunlich aktuell gedachten Gender-Facette – mehr als nur ein süßes Märchen-Musical.
Von Erhard Petzel
„Warum soll ich zu Bett geh’n, wenn ich Piraten töten kann“. Die Kernbotschaft des ewigen Kindes, das sich dabei ungemein clever vorkommt, ist eine unübertroffene Formulierung: Sie bezeichnet den grassierenden Eskapismus, der für viele zur alltäglichen Praxis zählt. Wenn Peter Pan – im Musical von George Stiller nach dem Text von J.M. Barrie – seinem Widersacher auf den Kopf zu schleudert, zu sein, was diesem fehle, weshalb er siegen werde, so ist auch das nur die Inszenierung einer Illusion. Ist jemand jung, nur weil er ein Kind bleiben will?
Ist jemand frei, der sich innerhalb der selbst gesteckten Grenzen austobt, Entwicklung aber ängstlich scheut? Sein Abschlusssong verbreitet sich mit der Erkenntnis, dass immer ein Morgen kommen, dieser aber ehe banal daherkomen werde... Daraus ein packendes Event mit bühnenwirksamer Haudrauf-Dynamik zu gestalten, zu dem sich auch etwas denken lässt, verdankt sich der Inszenierung von Carl Philip von Maldeghem und Christiane Silberhumer.
Nachdem Gregor Schulz alles spielen kann, ist er hier eine relativ tief grummelnde und grunzende Elfe Tinkerbell im altrosa Tüllkleid. Dafür gibt Patrizia Unger den Peter Pan in einer Hosenrolle in Grün. Was Assoziationen weckt. Nicht nur die einer alten, ewig jungen Naturgottheit.
Die Verweigerung des Erwachsenwerdens steht im Widerspruch zur Ethik der Verantwortung, vielleicht der Gesellschaft Tribut zu zollen mit praktischem Engagement und leiblicher Fortpflanzung (Peter Pan will Wendy lediglich als Ersatzmutter ohne eigene Vaterschaftsambitionen). Der ewig junge Bub und seine Elfe als intergeschlechtliche Wesen, wenn das der LGBTQI-Community auch nicht schmecken wird. Denn Peter Pan funktioniert hervorragend als narzisstischer Blender, versagt aber als Erhalter eines Systems außerhalb seiner phantastischen Parallelwelt.
Wenn Bühne und Kostüme (Katja Schindowski) sonst bis auf blaue Prospekthimmel (darunter einmal London, einmal Strand und Meer) in Schwarz-Weiß gehalten sind, sollte man kein Gut-Böse-Schema dahinter annehmen. Denn Peter Pan ist kein Guter, nicht einmal ein Charakter, sondern eine Projektion wie sein Gegenspieler Käpt’n Hook und wie dieser ein Monster. Weiß steht für die reinen und verlorenen Kinder, die klein genug sind, eine Mutter zu brauchen. Oder Weiß für so Gute Wesen wie Wendy. Deren John und Michael brechen aber auch in Schwärze aus, ihrem väterlichen Vorbild gleichend. Axel Meinhardt in Personalunion des rigorosen Vaters mit dem schwarzen Piraten, wie Julia-Elena Heinrich als Mutter und Erzählerin oder Marco Dott als Hund und Smee (rechte Hand Hooks): Alle Erwachsenen also auf der schwarzen Seite, die Halbwüchsigen dazwischen.
Da ist das pubertär gesprenkelte Kampfschwadron unter Tiger Lily (Flora Menslin) zur Bekämpfung der Piraten und eben diese um die Grenze der Adoleszenz (daher ebenfalls schwarz). Bunt dafür die punkigen Schöpfe der großen Kinder und jungen Erwachsenen. Auch wenn der Song Hinterm Sternenzelt dreimal seine Musical gemäße Zuckerlphilosophie verbreiten darf, sind die Höhepunkte zur Nimmerland-Band unter Wolgang Götz und Katrin Schweiger. Die großen Ensembles wurden einstudierter und von Josef Vesely und Kate Watson - eine Schar aufregend choreografierter Kinder und Jugendlichen, die in erstaunlicher Menge zur Verfügung stehen. Dazu eine Menge Akrobatik schon bei den Kleinsten. Anna Sandreuters Training brachte erstaunliche Leistungen am Vertikaltuch.
Damit konnte auch Unger ihren Peter Pan in die dritte Dimension versetzen und sich dort heimisch fühlen. Was sie alles so unternimmt, während sie einen Song trällert, Respekt. Allein die körperliche Leistung der gesamten Belegschaft in dem vor Mittagshitze dampfenden Zelt – Premiere war am Sonntag (11.6.) um 11 Uhr im Theaterzelt aauf dem Messegelände – verdient alle Achtung ein. Jedenfalls erweist sich das Landestheater einmal mehr als effiziente Kaderschmiede für Musical-Allrond-Talente, bei der nicht nur zur komplexen Bewegung, sondern von Kindern auch a-cappella gesungen wird. Rauschender Applaus für das gesamte Ensemble.
Peter Pan – bis 22. Juni im Theaterzelt – www.salzburger-landestheater.at
Bilder: Christina Baumann-Canaval (2); Tobias Witzgall (3)