Wie das Wort auf Deutsch klingelt
REST DER WELT / GRAZ / BROKEN GERMAN
04/12/17 „Das Gedicht hat keinen Grund. Aber ein Untergrund schon.“ So aphoristisch muss einer das scheinbar Absichtslose einer Kunst, die dann doch den Urgrund literarischer Sprache gewaltig aufrührt, erst beschreiben. Kein Wunder, dass „Broken German“ vor etwas über einem Jahr mit Urgewalt hinweg gefegt ist über die Feuilletons.
Von Reinhard Kriechbaum
Das Buch hat die Lesenden entschieden weniger irritiert als die Jury beim Bachmann-Wettbewerb 2016, in der gleich mal sinngemäß nachgefragt wurde, ob denn diese Hybridversion von Sprache überhaupt statthaft sei in einer solchen literarischen Konkurrenz.
In der „Zeit“ hieß es über den in Tel Aviv genau so wie in Berlin sozialisierten Tomer Gardi, er „beherrscht die Sprache nicht, er bespielt sie umwerfend“. Kann man das auch als Aufforderung an Theaterleute lesen, mit der Vorlage zu spielen, sie zu „bespielen“? Die sprunghafte, Assoziationen und Reminiszenzen evozierende Erzähltechnik lässt das von vornherein nicht unmöglich erscheinen. Die Puzzlesteine einer sowieso nicht auf Stringenz, sondern auf Überraschung, auf beziehungsreiche Überrumpelung ausgelegten Handlung neu legen – wieso nicht? „Broken German“ ist im Grazer literarischen Verlag Droschl erschienen, und nun machte sich Dominic Friedel eben dort, im Haus Zwei des Schauspielhauses, an den Versuch einer Dramatisierung.
Die Story ist so zielgerichtet verquer wie die Rechtschreibung. Da finden wir uns nun also (unter anderem) in der „Bar zum Roten Faden“ – was für eine Chuzpe! – wo Radili und seine Freunde Amadou, Fikert, Anuan, Abayomi und Jamal abhängen. Volker ist auch zugegen, weil schließlich ist auch Volkerverständigung angesagt. Genau genommen, so viele Leute sind gar nicht da. Eine Schauspielerin schiebt Limonadeflaschen (eine davon mit roter Clownnase) auf einem kleinen Tisch hin und her, wenn die Namen eingeführt werden.
Zuvor schon haben wir die Story von dem bis dato und leider auch weiterhin unbekannten Literaturpreis „Goldene Traube“ gehört, mit dessen Behauptung ein Buch kurz mal in Bestseller-Ränge gehievt wird (Absturz folgt postwendend). Und dann kommt gleich mal die Affenmaske zum Einsatz, weil ja – zentraler Handlungsstrang – für die „geerte Herren von die Akademie“ darüber sinniert werden soll, ob ein Jude im jüdischen Museum selbst zum Ausstellungsstück werde. Da ist man dann gleich mittendrin drin in der Denkwelt des Tomer Gardi, des brillanten Beobachters der Geschichte und ihrer Folgen, der seine An- und Einsichten dann mit unverfrorener Nonchalance serviert. Jeder dritte Satz weckt zumindest ein Schmunzeln, das dann ob der Ernsthaftigkeit freilich ebenso rasch verfliegt.
Regisseur Dominic Friedel und sein Bühnenbildner Frank Holldack setzen auf bescheidenste szenische Mittel, mehr auf Andeutung und Pantomime. Ein Overhead-Projektor dient als mobiler Scheinwerfer. So wird auch mal ein Stück Text an die Wand geworfen, aber bald liegen die transparenten Blätter so schräg übereinander wie manche Gedanken des Autors. Zwei Schauspielerinnen (eine dunkelhäutig) und ein Schauspieler teilen sich den natürlich wesentlich gekürzten, aber in seiner Eigenheit unangetasteten Text. Es werden keine festen Rollen zugewiesen und manches wird einfach gelesen. Die unmittelbare Umsetzung ist mal direkt-parodistisch, dann wieder umwegig-zurückhaltend, erst auf den zweiten oder dritten Gedanken schlüssig. Aber das korreliert schon einigermaßen mit den Text-Spezifika von „Broken German“. Sehr konzentriert kriegt man den Text rüber, wobei sich die gezielt eingesetzten Artikel- und Fallfehler akustisch leichter erschließen als Tomer Gardis oft hinterhältige Unrechtschreib-Finten. Unmöglich ist's, wie es sich zeigt, nicht: „Ich kugte tief in seine Augen. Und dann sagte ich es. Das Wort. Der nur auf Deutsch so klingelt. Auf keine andere Sprache klingt das so. Jude.“
Unbeantwortet bleibt in der Grazer Uraufführung letztlich, ob sich dieMühe einer theatralen Aufbereitunglohnt. Für die Schauspieler? Fürs Publikum? Für den Text selber? Letztlich, darüber trägt der Abend, nicht hinweg, wird der Autor schon gewusst haben, warum er ein Buch schreibt und nicht ein Bühnenstück. Vieles will letztlich doch lieber in Buchstaben aufgesogen werden.
Aber ja: Wenn zuletzt in einem kleinen Glasbehältnis Farbe durcheinander gekleckst wird und der Overhead-Projektor uns sehen lässt,wie Farbtropfen blütenartig sich verbreiten und eins ins andere fließt, dann hört man gerne den Satz „und die Sprachen mischen sich miteinander, wunderschön und lebendig und hoch, ein Himmel ist über uns offen, über und rundrum uns offen, wie wir strohmen...“