Anmalen gegen den Tod
REST DER WELT / ALTÖTTING / PICASSO
03/05/13 1973, also vor vierzig Jahren, ist Pablo Picasso gestorben. Das bringt nicht von ungefähr die weltläufigen Galerien und Museen auf den Plan, so etwa die Neue Pinakothek in München, wo (bis 31. August) der Picasso auf Césanne und Degas trifft, oder das Kunstmuseum Basel mit einer Retrospektive aus 30 Privatsammlungen (bis 21. Juli). Eine feine Schau in der Stadtgalerie Altötting zeigt Papierarbeiten.
Von Hans Gärtner
Die höchst respektable Altöttinger „Picasso“-Schau speist sich aus lediglich einer einzigen, umso erstaunlicheren Privatsammlungs-Quelle, nämlich der des Münchner/Wiener Kunst-Galeristen Helmut Klewan (70), der mit der von Herbert Bauer wohltuend unprätentiös, aber höchst erfolgreich geleiteten Stadtgalerie seit einem Jahrzehnt freundschaftlich verbunden ist.
Insgesamt sind es 130 Exponate – Lithos, Radierungen, Gemälde. Dazu kommen noch die einzigartigen Schwarzweißfotos von Franz Hubmann und André Villers, denen eine eigene Abteilung um eine Vitrine mit exzeptioneller Buchillustration gewidmet ist. Ein Hubmann-Foto zeigt Picasso mit dem bedeutenden Kunsthändler Daniel Henry Kahnweiler (1884 – 1979). Dieser sieht dem Sammler Helmut Klewan derart ähnlich, dass man beim flüchtigen Hingucken leicht erschrickt. Picasso habe sich beim Fotografieren stets in Positur geworfen, heißt es. Nicht aber auf Schnappschüssen mit brennender Zigarette oder in der Badewanne.
Die „hinreißenden Bade-“, die wilden Minothauros-Szenen der 30er Jahre. Die Freizügigkeit der üppigen nackten Körper in Positionen, die schon zu des Künstlers Lebzeiten die Gemüter erregten. Die keineswegs gewaltlosen Orgien und Bacchanale, die Picasso auf ungemein erotisierenden, sündhaft aufreizenden Blättern falten- und haargenau, Busen-, Schenkel- und Popo-feiernd festhielt. Pablo Picasso ist ohne das Erregende nicht zu denken. Er war und ist noch immer Provokateur, „absolut virtuos“, wie die Kuratorin bei der Vernissage anmerkte, der „die Komplexität der modernen Welt in eine neue Kunstsprache umsetzte“. Der sich, als ihn der Kubismus langweilte, der Antike zu- und von Rubens abwandte, der – ein „Anmalen gegen den Tod“? – in seiner letzten Schaffensperiode in sieben Monaten beinahe 350 Radierungen – neben Zeichnungen und Gemälden – kreierte. Hat er wirklich „die eigenen Ängste thematisiert“, wenn er sich als „Alten König“ mit blutjungen, sinnlich aufblühenden Models kontrastierte? Mag sein – die Kunstgeschichte hat viele offene Stellen und Zugänge.
Was die Altöttinger Ausstellung leistet, ist: sich, mit dieser Offenheit im Gepäck, auf den wildwuchernden, wunderlichen, wunderbaren Picasso einlassen zu können, sich einen Überblick zu verschaffen über seine Kunst ab den 1930er Jahren bis zu seinem Tod. Das schöne Leporello, das es für läppische 2,50 Euro gibt, lässt einen die phantastischen Picassos zu Hause Revue passieren.