Violetta durfte nicht sterben
REST DER WELT / VERONA / LA TRAVIATA
04/07/16 Auch in der Wiege aller Sommerfestivals unter freiem Himmel, in Verona, spielt der Wettergott manchmal nicht mit. Der Schlussakt in der Wiederaufnahme von Giuseppe Verdis „La traviata“ fiel am Samstag (2.7.) einem Gewitterregen zum Opfer.
Von Oliver Schneider
Sonnig und schwül war der Samstag in Verona, ein Gewitter war absehbar. Als der Taxifahrer zur Arena verkündete, in Mailand regne es schon heftig, versuchte man dies zu verdrängen. Als Verona-Neuling hatte man sich schließlich auf diesen Abend gefreut. Und pünktlich um 21 Uhr ging es trotz bedrohlich dunkler Wolken los.
Stimmungsvoll wird man in der Arena von einer den Gong schlagenden Dame zur Ruhe gebeten, was erstaunlich gut funktioniert. Dann zünden viele Zuschauer Kerzen an. Die Inszenierung inklusive Ausstattung des in Italien beliebten Hugo de Ana aus dem Jahr 2009 setzt auf aufwändig arrangierte Massenszenen und einer, trotz der Dimensionen der Spielfläche, recht klaren Personenführung in den intimen Szenen, vor allem im zentralen Gartenbild. Während des Vorspiels verkauft Violetta ihr Hab und Gut, womit de Ana andeutet, dass er die Geschichte der Schwindsüchtigen als Rückblende erzählt.
Die Bühne ist in schwülstige Stuckrahmen unterteilt. Der größte wird nach Violettas „Follie“ gemeinsam mit Nino Machaidze in der Titelrolle effektvoll hochgefahren, so dass sie in schwindelerregender Höhe zwischen der Liebe zu Alfredo und dem Wunsch nach Vergnügen hin- und her schwankt. So subtil sie die Rolle ausfüllt – speziell im Garten auf dem Land mit Vater und Sohn Germont –, so ausgelassen sie sich als scheinbar im prallen Leben stehende junge Frau darstellerisch gibt, stimmlich ist sie über die Violetta mittlerweile hinaus. Mit ihrem dunkel aufblühenden, mittlerweile recht breiten Sopran punktet sie aber noch immer im zweiten Akt. In den Koloraturen im ersten Akt stört ein recht ausgeprägtes Tremolo.
Bei Alfredos „Un dì felice, eterea“ packten die Musiker wegen erster Tropfen ihre Instrumente zusammen. Die erste (ungeplante), für die vielen Fussballfans unter den Zuschauern willkommene Pause des Abends, die offizielle folgte bereits wenige Minuten nach dem Wiederbeginn. Das ist Italien.
Anders als in Bregenz zum Beispiel, setzt man in Verona zu Freude des ausländischen Publikums und vieler italienischer Opernfans auf traditionelle „Inszenierungen“ ohne viel Technik. So wird das Landhaus von Violetta und Alfredo mit einem Stoffprospekt im Blumendekor auf dem Boden im größten Rahmen auf der Bühne angedeutet. Tanzende Zigeunerinnen – flankiert von Toreros, die auch aus Carmen stammen könnten – fehlen beim Fest im Hause Floras genauso wenig (etwas hausbackene Choreographie: Leda Lojodice) wie prächtige Kostüme für den gut einstudierten Chor (Vito Lombardi) und die Solisten. Etwas anderes kann man sich in der sommerlichen Atmosphäre auch gar nicht vorstellen.
Bei Francesco Demuros Alfredo – er hat die Partie erst im Juni an der Bayerischen Staatsoper gesungen – strömen zwar nicht alle Töne ganz mühelos, dafür gefällt er im Laufe des Abends vor allem mit verführerischem Schmelz, Agilità und Strahlkraft. Enttäuschend ist hingegen Gabriele Viviani als grober und in der Höhe pressender Vater.
Jader Bignamini am Pult des Arena-Orchesters ist den Solisten und dem Chor ein flexibler Begleiter, der Verdis Melos nichts schuldig bleibt. Das Schöne an der Arena ist, dass die Stimmen auch ohne Verstärkung recht mühelos den riesigen Raum durchdringen; die Instrumente sind hingegen mit Mikrofonen an den Notenpulten verstärkt, und trotzdem ist es nie zu laut.
Während der Ballszene bei Flora unterbrachen die Musiker noch einmal wegen Regens; die zweite ungeplante Pause wurde dann durch das Elfmeterschießen am Ende des EM-Spiels Deutschland-Italien noch ein bisschen verlängert. Ab der offiziellen Pause vor dem Schlussakt schüttete es dann aus Kübeln, und da es mittlerweile schon nach 24 Uhr war, konnten die Arena-Verantwortlichen Zuschauer und Mitwirkende guten Gewissens in die Bars, Ristoranti, zum Essen, Trauern oder Feiern entlassen. Schade, zu gerne hätte der Verona-Neuling die intime Sterbeszene auch erlebt.
Aufgrund der Größe der Arena findet man für alle Vorstellungen dieses Sommers bis 28. August offiziell noch Karten im Internet, oder man bucht über Reiseveranstalter. Zur Not kann man es auch bei den fliegenden Händlern am Abend versuchen. Schwieriger ist die Hotelsuche; hier wird im Übrigen kräftig zugelangt.