Der Sanftmütige, verkleidet als Held
PFINGSTFESTSPIELE / PHILIPPE JAROUSSKY
25/05/15 Eine singende Dirigentin: Das war nicht nur bei den Pfingstfestspielen, sondern überhaupt in Salzburg das erste Mal. Da hat sich also Nathalie Stutzmann umgedreht und als Polyphem den armen zarten Schäfer Acis alias Philippe Jaroussky ins Jenseits gepustet.
Von Reinhard Kriechbaum
So geschehen nach der Pause am Nachmittag des Pfingstsonntags im Arienkonzert von Philippe Jaroussky im Haus für Mozart. Es war proppenvoll auch zu dieser Stunde. Und der Sänger wurde erwartungsgemäß mit Standing ovations bejubelt, wie es sich geziemt für eine männliche Händel-Primadonna. Tatsächlich nötigt es Respekt ab, wenn der französische Countertenor – einer der wenigen wirklichen „Soprane“ seines Fachs – die abenteuerlichsten Koloraturen herausschleudert. Die exponiertesten Spitzentöne kommen mit glasklarer Brillanz, leuchtkräftig sowieso, aber im Bedarfsfall auch mit lockerer Leisheit. Eben nicht wie es die Technik nahe legt, sondern wie es die musikalische Gestaltung verlangt.
Und doch hatte dieses Konzert etwas Uneingelöstes. Da waren in einem schlüssig komponierten Händel-Pasticcio (sehr gediegen abgestimmt in der Abfolge von Arien und Einzelsätzen aus den Concerti grossi) namhafte Antiken-Helden beisammen: Odysseus und der gegen den Minutaurus kämpfende Theseus, in der Zugabe noch Herkules. Außerdem der Gott Apoll, der in der Arie „Gran tonante“ noch gesteigerte Ehrerbietung an Zeus einmahnte.
So wirklich hundertprozentig zu Herzen gegangen ist in dieser Programmfolge aber nur der lyrische Gesang des Schäfers Acis. Dort, in der weichen Kantilene, ist Philippe Jaroussky wirklich beheimatet, da ist seine Stimme unverwechselbar, wirken Timbre und Ausdruck authentisch. Ein ganz subjektiver Eindruck: Wenn das entschiedene vokale Dreinschlagen verlangt ist, weil etwa ein kretisches Ungeheuer zu erlegen ist, dann ist Jaroussky nicht der große Held, sondern er schlüpft bloß in die jeweilige Rolle. Und drum war er als Herkules (im Zugabenblock) überraschen „echt“, weil dieser sich in besagter Arie von seiner sanftmütigen Seite zeigt.
Natalie Stutzmann, die man eigentlich als Sängerin kennt, ist seit geraumer Zeit mit Ambition auch fleißig als Dirigentin unterwegs (ohne dass sie deswegen dem Singen Adieu gesagt hätte). Der Wunsch ist verständlich, als geeichte Vokalgestalterin auch einmal das Ganze bestimmen zu wollen. An Bestimmtheit fehlt es ihr nicht, wenn sie Händel dirigiert. Das von ihr gegründete Originalklangorchester „Orfeo 55“ setzt die starken, temperamentvollen Impulse mit Verve um. Die Luft an der Spitze ist unterdessen aber auch in der Alte-Musik-Szene sehr dünn. „Orfeo 55“ gehört dort eigentlich (noch) nicht hin.
Wie Nathalie Stutzmann die Instrumentalnummern auf die Arien abstimmte (da verbot sich jeder Zwischenapplaus), stellte ihr das beste Zeugnis aus für Stilverständnis und dramaturgischen Sinn. Und singend hat sie dann nicht als Polifemo dem Schäfer Acis den Garaus gemacht, sondern den Countertenor in einem zugegebenen Duett samten umgirrt, wie es sich gehört. Die bestimmenden Töne waren an diesem Nachmittag doch jene von der lyrischen Seite.