„Eine Frau voller Zweifel und Gefühle“
IM INTERVIEW / CECILIA BARTOLI
22/05/15 Heute Freitag beginnen die Pfingstfestspiele mit Glucks Oper „Iphigénie en Tauride“ in der Inszenierung von Moshe Leiser und Patrice Caurier. In der Hauptrolle natürlich Cecilia Bartoli - ihre erste große Gluck-Rolle auf der Bühne, wie sie im Interview erzählt.
2012 hat Cecilia Bartoli die Künstlerische Leitung der Salzburger Pfingstfestspiele übernommen. Im ersten Jahr sang sie die Kleopatra in Händels „Giulio Cesare“. Es folgten Bellinis „Norma“ (2013) und Rossinis „La Cenerentola“ (2014). Allen Produktionen gemein ist die exakte Charakterisierung menschlicher Schicksale.
Was fasziniert Sie am Schicksal der antiken Heldin und an der Partie von Glucks Iphigénie?
Cecilia Bartoli: Es ist die genaue Behandlung des Wortes bzw. das Austarieren von Text und Musik sowie eine überzeugende, menschliche Darstellung der Figur, die eben keine kalte griechische Statue ist, sondern eine Frau voller Zweifel und Gefühle.
Und natürlich freue ich mich ganz besonders auf die Herausforderung eines Rollendebüts, dazu noch in französischer Sprache, und die Rückkehr zu einem Komponisten, den ich ganz besonders schätze. Ich komme immer wieder auf Gluck zurück, aber dies ist in der Tat meine erste große Rolle dieses Komponisten auf der Bühne.
Wie fügt sich Glucks Iphigénie en Tauride in Ihr programmatisches Gesamtkonzept?
Cecilia Bartoli: Ich versuche, meine Reihe der Pfingstfestspiele mit einer eigenen, inneren Logik zu erfüllen. Dass dabei große, in mancher Hinsicht mythische oder heroische Frauengestalten im Fokus stehen können, war mir von Anfang an ein zentrales Anliegen, umso mehr als mit mir ja zum ersten Mal eine Frau als künstlerische Leiterin dieses Festivals fungiert. Sie sehen an den programmierten Opern der letzten Jahre auch eine Folge von atmosphärischen Kontrasten. Um es in den Worten der italienischen Oper zu sagen: die „opera semiseria“, die „tragedia lirica“, die „commedia“. Und nun also eine klassische "tragédie-opéra", wie sie die Franzosen liebten, mit der Iphigénie als zentraler Figur – dafür schien mir der Moment richtig.
Glucks Opern werden gegenwärtig recht häufig gezeigt, und mit den interpretatorischen Erkenntnissen der letzten Jahrzehnte sowie einer Reihe hervorragender Sängerdarsteller/innen, die sich dafür einsetzen, hat man erkannt, dass diese Werke nicht nur schön, sondern auch theatralisch und musikdramatisch hochinteressant sind. Mein Wunsch wäre es, den Kanon zu erweitern und auch Glucks italienische und komische Opern vermehrt zu spielen, nicht nur die Reformopern.
Sie sind auch mit Glucks früheren Werken vertraut und haben u.a. auch ein Album mit seinen italienischen Arien eingespielt. In welchem Zusammenhang stehen diese mit seinem Spätwerk „Iphigénie en Tauride“?
Cecilia Bartoli: Mein Anliegen ist es seit jeher – und für diese Erkenntnis bin ich übrigens u.a. Nikolaus Harnoncourt bis heute dankbar –, dass ein großer Künstler oder ein Meisterwerk selten wie ein Meteorit in die Wüste einschlägt. Man hat das lang geglaubt, weil man es verabsäumte, das Umfeld dieser Komponisten genau zu studieren. Ohne Gluck, Haydn und Salieri gäbe es schließlich keinen Mozart, ohne Barock keinen Belcanto, ohne die hochartifizielle, virtuose Opera seria keine klassizistische Reformoper.
Genauso verhält es sich auch innerhalb eines künstlerischen Oeuvres, und gerade bei Gluck ist es außerordentlich spannend zu verfolgen, wie er in seinen späten Werken auf wunderbares Material aus früheren Werken zurückgreift und es umformt in etwas ganz Neues und Anderes, gemäß seinen veränderten musikdramatischen Vorstellungen. Und trotzdem spürt und erkennt man natürlich noch das Original.
Welchen Frauentyp verkörpert für Sie Glucks Iphigénie?
Cecilia Bartoli: Die Iphigenie, die wir aus Goethes Schauspiel kennen, ist etwas mehr im Ideal der klassisch griechischen Heldin verwurzelt. Als Figur wirkt sie eher statisch und wird passiv von den Entscheidungen des Schicksals hin- und hergeschoben. Ihr Bruder Orest, sein Freund Pylades und König Thoas scheinen die wirklich handelnden Charaktere zu sein. Die Goethe’sche Iphigenie zeichnet sich vor allem durch Aufrichtigkeit aus. Demgegenüber wirkt Glucks Iphigénie lebendiger, leidenschaftlicher, schlussendlich handelt sie sogar als „Rebellin“ und widersetzt sich der Autorität von König Thoas. (PSF)