asdf
 

Der Opernton ist gar kein Thema

PFINGSTFESTSPIELE / KIRCHENMUSIK

09/06/14 Nicht wenige, die Rossinis Kirchenmusik ob ihrer Opern-Nähe geißeln, fahren ab auf Mozarts Messen. Es fällt ihnen dabei gar nicht auf, dass zwischen Figaro, Cosi und der Spatzen- oder der Krönungsmesse nicht der geringste Unterschied im Idiom besteht.

Von Reinhard Kriechbaum

Am Pfingstsonntag gab es tagsüber Kirchenmusik – und zwar so gut und so interessant, dass man auch bei über dreißig Grad keine Minute bedauert hat, Badesee gegen Konzertsaal eingetauscht zu haben. Es hätte ausreichend Gelegenheit gegeben, sich über vermeintlichen „Opernton“ zu alterieren – aber wenn man einen italienischen Kapellmeister mit Stilbewusstsein ranlässt, ist das eigentlich kein Thema.

Antonio Pappano war für die beiden Konzerte um 12 Uhr im Großen Festspielhaus und um 17 Uhr im Mozarteum eingeladen, mit Orchestra e Coro dell’Academia nazionale di Santa Cecilia. Das „Stabat Mater“ musste man allein schon gehört haben wegen der Sopranistin Maria Agresta. Bedenkt man, dass drei Positionen im Solistenquartett für dieses Konzert mehr oder weniger kurzfristig ausgetauscht waren (Elina Garanca ist unlängst Mutter geworden, Krassimira Stoyanova und Piotr Beczala waren erkrankt), so erstaunte die Homogenität. Um ein Haar hätte es ja auch Erwin Schrott erwischt (der sich am gleichen Abend, in der Rossini-Gala, entschuldigen ließ). Er sicherte zur Mittagsstunde noch ur-gewaltige Basstöne. Äußerst delikatder Tenor von Lawrence Brownlee, bewundernswert aber die beiden „Native speakers“ Sonia Ganassi (Alt) und eben die so unbeschwert leuchtkräftige Maria Agresta, die einer jeden Orchesterwoge gleichsam durch Schweben entkommt. Beredt, elegant im Rhythmus die Orchesterbeiträge (mit besonders gutem Holz).

Fein, dass man in diesem Mittagskonzert auch das „Libera“ des Giuseppe Verdi hat hören können – in eben jener Form, wie es komponiert wurde für eine Pasticcio-Totenmesse zum Jahrestag von Rossinis Ableben. Dessen Asche ruhte damals noch in Paris, auf dem Friedhof Pére-Lachaise. Aus der Aufführung der Totenmesse, zu der führende italienische Komponisten der Zeit je weinen Satz beigetragen hatten, wurde dann nichts, aber Verdis „Libera“ wurde Jahrzehnte später zur Keimzelle des „Requiem“. Was damals – 1869 – schon da war und wie es der greise Verdi verändert hat, das ist aufschlussreich.

Noch instruktiver aber war das Nachmittagskonzert, mit Rossinis eigentümlicher „Petite messe solenelle“. So klein ist sie, dass anderthalb Stunden gerade ausreichen, und skurril nicht nur wegen der Besetzung (zwei Klaviere, Harmonium, Kammerchor, vier Solisten). Rossini hat sich in dieser „letzten Todsünde meines Alters“ so recht ausgetobt. Der alte Fuchs kannte die Kirchenmusik von Palestrina weg, und er wusste um die restaurativen Bestrebungen des 19. Jahrhunderts: Der „Allgemeine Cäcilienverein für die Länder deutscher Sprache“ wurde 1868, vier Jahre nach der „Petite messe solenelle“ gegründet. Rossini, der beileibe nicht nur kochte und aß im Alter, wusste um die Zeitströmungen. Er hat weit in die Geschichte zurück und scharfsinnig in seine Gegenwart geblickt, vor-, nach- und weitergedacht. Und das alles im Tonfall „semi seria“, wie er gegenüber Hanslick betonte. Halbernst, ja – so soll’s sein und so war’s auch. Ein Wechselbad der Gefühle, wenn da einmal A capella-Fugen ausgebreitet werden und dann wieder Solostimmen zum Schmachtfetzen oder zum innigen Arioso anheben. Was genau mag Rossini mit der Tempoangabe „Allegro Cristiano“ für den ersten Teil des Vredo im Sinn gehabt haben? Wahrscheinlich eh genau das, was Antonio Pappano als Tasten-Vordrücker am ersten Klavier umgesetzt hat.

Was einem schon durch den Kopf ging: Die Steinway-Mächtigkeit konnte Puccini nicht vorausahnen. Paris war damals eine Hochburg des Klavierbaus. Zwei Flügel der Zeit hätten dem (am Sonntag Nachmittag weitgehend unhörbar gebliebenen) Harmonium wohl entschieden besser zur Wirkung verholfen. Und mit Verlaub: Im vokalen war diese Wiedergabe sowohl vom Kammerchor als auch vom Solistenquartett (Eva Mei, Vesselina Kasarova, Lawrence Brownlee, Michele Pertusi) so gut, dass man das Korrepetitoren-Team an den Tasten (Choreinstudierer Ciro Visco am Harmonium, Antonio Pappano und Pamela Bullock an den Klavieren) eher als Notlösung empfunden hat. Da wäre mehr rauszuholen gewesen.

Bild: Salzburger Festspiele / Silvia Lelli

 

DrehPunktKultur - Die Salzburger Kulturzeitung im Internet ©2014