Später mal wird Aschenputtel sicherlich zur Chilly Queen
PFINGSTFESTSPIELE / LA CENERENTOLA
06/06/14 Auch das kommt vor: dass dem Regisseur beinah genau so viel Schlussbeifall entgegenschlägt wie der Primadonna assoluta. So geschehen am Donnerstag (5.6.) nach der Premiere von Rossinis „La Cenerentola“. Jubelstürme also für Cecilia Bartoli und ihren szenischen Meister-Humoristen Damiano Michieletto. Und nicht nur für sie.
Von Reinhard Kriechbaum
Da ein chilliger „Palace“, dort ein schäbiges Buffet, eine heruntergewirtschaftete Selbstbedienungs-Kantine. Letztere wird frequentiert von Schulmädchen und Altersheim-Insassen. Im „Palace“ kehren hingegen die Yuppies ein. Was beide Gruppen eint: Wenn der heiratswillige Don Ramiro, eine gute Partie, auftaucht, ist alles hinter ihm her, was Kittel oder Damenhosen an hat. Wie hinter einem Popstar.
Aber eh schon wissen: In Rossinis „La Cenerantola“ ist Don Ramiro nicht echt, sondern der verkleidete Kammerdiener. Und der echte Don Ramiro examiniert die potentiellen Heiratskandidatinnen aus dem aufschlussreicheren Blickwinkel des Subalternen.
Aschenputtel hat die allerbesten Karten. Wenn sie sich mit Putzfetzen und Wassereimer abmüht, lässt Cecilia Bartoli die Koloraturen spritzen wie die Wassertropfen – aber die Bartoli findet für diese Rolle auch genau so viele innige, beinah verträumte Töne. Das singt ihr im Moment keine so leicht und zugleich so tiefgründig nach.
Javier Camarena ist der (echte) Don Ramiro, der sein Herzblatt sofort erkennt. Ganz locker führt er seine Tenorstimme. Auch ihm purzelt der vokale Zierrat nur so aus der Kehle – aber wenn es ums hohe C geht, dann leuchtet dieser Tenor gelöst auf und man sieht ihm gerne die eine oder andere Intonationsungenauigkeit nach.
Überhaupt ist da ein beinah ideales und zugleich völlig uneitles Rossini-Ensemble beisammen. Das unprätentiöse Singen, das unterschwellige Servieren der unglaublichsten Ton-Kaskaden ist die Stärke dieser Urtext-abgesicherten Aufführung bei den Pfingstfestspielen. Wie viel Charme entwickelt doch Nicolo Alaimo als Kammerdiener Dandini, der die Herrenhosen an hat - und leibt und lebt wie weiland Pavarotti. Aber er hat eine feine, sagenhaft wendige Bassstimme, und was er so an Belcanto-Bewegtheiten zeigte, hat Format. Auch Enzo Capuano als Don Magnifico ist ein Vokal-Bewegter par Excellence, alles andere als ein Bass-Haudegen. Manchmal dürfte es sogar ein wenig mehr an Volumen sein.
Die Rolle des Alidoro, Erzieher und Braut-Schauer für Don Ramiro, hat der Regisseur weit aufgewertet und aus ihm einen Genius gemacht, der während der Ouvertüre vom Himmel fällt und dann als allgegenwärtiger Unruh-Geist für Bewegung unter den Erdlingen sorgt. Ugo Guagliardo ist in dieser Rolle nicht nur flott im Kostümwechsel. Auch er fügt sich in das Sängerensemble stilsicher ein, gut gewichtet und vor allem mit gebotener Geschmeidigkeit. Bleiben Lynette Tapia und Hilary Summers als Aschenputtels eitel-zickige Schwestern Clorinda und Tisbe: Eigentlich zu überdreht-karikierend wirken sie stimmlich, die eine piepsend, die andere orgelnd. Aber optisch machen die diese ungleichen Geschwister mit zwei Köpfen Unterschied an Körpergröße schon was her.
Dieses Ensemble - moderne, einsatzfreudige, in die Stilbesonderheiten eingefuchste Gestalter, hat Jean-Christophe Spinosi also aufeinander eingeschworen. So, als ob das Haus für Mozart eine Kammerbühne wäre, also mit Vorliebe leicht und delikat im Parlando. Ganz so, wie er es auch seinem Orchester, dem Ensemble Matheus, eingebläut hat: Wie leise können doch Holzbläser, die Klarinetten vor allem, sein! So seidenfein hat man die Ouvertüre kaum einmal gehört, sogar mit leichten Col-legno-Effekten! Ob der Klang-Sinn dann wirklich immer zum Raum passt, ist schon die Frage – aber schlüssig und über weite Strecken betörend charmant ist das, überhaupt keine Frage.
Den allergrößten Charme freilich entfaltet die Szene. Damiano Michieletto liebt leicht schäbige Interieurs, er geht virtuos um mit dem halbseidenen Ambiente, das ihm sein Bühnenbildner Paolo Fantin wieder gebaut hat. Das ist alles liebevoll durchgestylt, bis zu den Symbolen auf den WC-Türen. Wie sich das „Buffet“ ins „Palace“ verwandelt, lässt das Publikum kurz den Atem anhalten – und wenn das Gewitter ausbricht, dann laufen die Video-Künstler (Rocafilm) zur Vollform auf und bringen gar festes Gemäuer in Bewegung. Gespart hat man nicht, mit Ideen nicht, aber auch nicht mit Geld für die Ausstattung.
In diesem Raum also erzählt Damiano Michieletto seine Geschichte von einem ganz heutigen Schneewittchen, das es vom verachteten Putzmädchen im stiefväterlichen Billiglokal ins stylishe, glasfunkelnde „Palace“ des Don Ramiro bringt. Sie wird dort, nach der Hochzeit, gewiss eine einnehmende Chilly Queen abgeben. Liebenswürdige Gags sonder Zahl – aber man darf eigentlich nichts ausplaudern. Denn selbst, wenn man ziemlich genau vorhersieht was nun gleich kommt, dreht der Regisseur die Dinge oft mit so liebenswürdigem Erfindungsgeist, dass man sich überrascht fühlen darf. Absolut kein Holzhammerhumor, sondern viel wirklich Charmantes und Amüsantes.
Und das vor allem immer in bester Synchronisation mit der Musik – eine Synchronisation, die sich beim Chor im Detail gewiss noch einstellen wird. So akkurat die Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor auch einstudiert ist (von Ernst Raffelsberger): Da merkt man am deutlichsten, dass diese „Cenerentola“ noch viel konsequenter als musikalisches Kammerspiel konzipiert ist, als im Haus für Mozart rüberkommt.