Ein spätes Vollbad im 19. Jahrhundert
PFINGSTFESTSPIELE / MASSENET / CLÉOPATRE
27/05/12 Sie ist pure Wellness für die Ohren, die 1912 – im Todesjahr ihres Schöpfers Jules Massenet – entstandene Oper „Cléopâtre“. Ist eine Wiedererweckung zu erwarten, nachdem sie am Pfingstsonntag bei den Pfingstfestspielen kurzfristig wachgeküsst worden ist?
Von Reinhard Kriechbaum
Ganz gewiss nicht, obwohl die Wiedergabe durch Vladimir Fedoseyev alle Vorzüge der Partitur offen gelegt hat: mit einem sängerischen Elite-Ensemble, mit dem sich in die Feinklänge der Instrumentation genauest einhörenden Mozarteumorchester und mit dem sich auch in diesem entlegenen Repertoire bestens bewährenden Salzburger Bachchor.
Massenets „Cléopâtre“ ist mit ihrem vollendeten Wohlklang des ausklingenden 19. Jahrhunderts und mit all ihrer feinen exotischen Klangwürze schlicht und einfach aus der Zeit gekippt. Schon zur Uraufführung beherrschten in ihrer Freud’schen Seelentiefe deutlich besser ausgeleuchtete Frauenfiguren die Opernbühne, und da denken wir noch gar nicht an Figuren wie Debussys Melisande oder Strauss’ Salome und Elektra. Eine vergleichsweise schlicht gestrickte Verführerin wie diese Cléopâtre war 1912 nur mehr kurzfristig tauglich für den Opernboulevard. Die Geschichte hat ihr Urteil über dieses Werk entsprechend rasch und unbarmherzig gefällt.
Das heißt freilich nicht, dass die Beschäftigung auf dem Konzertpodium nicht lohnte. „Cléopâtre“ ist musikalisch ganz in Paris daheim. Die Exotik, sozusagen die tönende Mutmaßung angesichts der Steine in der Ägyptenabteilung des Louvre, ist mit Charme und Elegance eingestreut. Der Fremdklang wird nicht überstrapaziert. Das Spielen machte dem Orchester, wie es schien, nicht weniger Lust als unsereinem das Zuhören am Pfingstsonntag in der Felsenreitschule.
Für die Sänger ist das Werk schlichtweg ein Traum. Die Mezzosopranistin Sophie Koch in der Titelrolle – der könnte man doch wirklich von den ersten Tönen weg erliegen, eben genau so wie Marc-Antoine (der dunkel timbrierte Bariton Ludovic Tézier), der nicht ohne Snobismus in der unterworfenen ägyptischen Königin eine Liebessklavin sehen will, ihr aber augenblicklich auf den Leim geht. Der freigelassene Sklave Spakos (ein sanfter Strahlemann: Benjamin Bernheim) dient Cléopâtre als Lückenbüßer und leidet gehörig drunter. Cléopâtre braucht eben nur mit dem Finger zu schnipsen, und schon täte jedermann einen Becher Gift trinken, nur um einen Kuss zu kriegen von ihr. So einfach ticken Männer. Dass die Römerin Octavie (Sandrine Piau) vergeblich nach Ägypten reist, um ihren Beinahe-Gespons Marc-Antoine loszueisen von Cléopâtre – völlig klar. In ein paar Minuten ist ihr Plädoyer für die echte Liebe vorbei und verpufft. Grandios gleichgewichtig und stilistisch amalgamierend war dieses Sängerensemble, liebevoll besetzt bis in die kleineren Rollen (Mariangela Sicilia als Dienerin Charmion sei wenigstens noch genannt).
Vladimir Fedoseyev weiß, wo Musik ordentlich losknallen darf (auch solche Passagen hält Massenet bereit), aber in der Hauptsache hat er für eine kluge Gewichtung der Lyrik, für ein Erblühen der Kantilenen gesorgt. Da hat einfach jeder Baustein auf den anderen gepasst und man darf froh sein, dass das Konzert zur weiteren medialen Verwertung mitgeschnitten wurde.
Wenn man sich im Programmheft ansieht, wie unsäglich französische Künstler im ausgehenden 19. Jahrhundert gekitscht haben in Sachen Kleopatra, dann kann man sich nur glücklich schätzen, dass man zwei Stunden lang in diesem so angenehmen, wohl temperierten Musik-Schaumbad hat sitzen dürfen.