Asterix bei Cecilia
PFINGSTFESTSPIELE / GIULIO CESARE IN EGITTO
27/05/12 Sage keiner, dass man aus einer Barockoper nicht manches mitnehmen kann fürs praktische Leben. Selbstmord im Maul eines ausgestopften Nilkrokodils, so erfahren wir, ist nicht wirklich Erfolg versprechend. Aber was sonst sollte man mit dem Riesenvieh anstellen? Die Raketen taugen allemal für Sex-Träume. Und wenn dann erst Cecilia Bartoli das darauf reitende Objekt der Begierde ist…
Von Reinhard Kriechbaum
Giulio Cesare kriegt eine 3D-Brille, und dann geht die Show ab. Cleopatra, in Wirklichkeit natürlich schwarzhaarig, macht auf Blondine. Sie arbeitet sich ab am eindeutig konnotierten militärischen Gerät. Eine Peepshow zur Unterhaltung der siegreichen Feindesmacht. Da wallt sogar das Blut eines Typen auf, der sonst notorisch sanftmütig wirkt auf der Bühne: Andreas Scholl täte man eher den artigen Valentinstags-Gratulanten mit Blumenstrauß abnehmen als den Chef der Invasoren-Armee. Aber das ist überhaupt nicht seine Schuld, sondern jene von den Regisseuren Moshe Leiser und Patrice Caurier. Sie scheren sich keinen Deut um Persönlichkeit oder Ausstrahlung der Sänger, sondern ziehen ihre krausen Comic-Phantasien beinhart durch. Auf der Bühne des Hauses für Mozart wird Händels „Giulio Cesare in Egitto“ zugrunde gerichtet. So gründlich und endgültig, dass das Stück am Ende szenisch so mausetot ist wie gleich in der ersten Szene der Pompeio, dessen abgeschlagener Holzkopf mehrmals polternd auf dem Bühnenboden abgestellt wird.
Am besten: Augen zu und durch! Glücklicherweise gibt es ja Musik, unsäglich viel Musik (Netto-Spieldauer vier Stunden zwanzig Minuten). Und die wird sagenhaft gut gesungen. Dass keiner der flapsigsten Gags und keine noch so skurrile szenische Tolldreistigkeit ernsthaft an der Musik kratzen kann, ist das eigentliche Wunder dieser Kleopatra-Nacht.
Es ist beileibe keine Alleine-Show für Cecilia Bartoli. Das Husarenstück war, vier der weltbesten Countertenöre zusammengebracht und musikalisch jeweils optimal eingesetzt zu haben. Andreas Scholl, der große sanfte Lyriker seines Fachs, ist Giulio Cesare. Natürlich hat auch er geschmeidigste Koloraturen anzubieten, aber seine Stärke ist das sinnliche Schwelgen. Von ganz anderem Schrot und Korn ist Philippe Jarousski. Der hat das Sopran-Silber gepachtet und trompetet die emotionale Ausnahmesituation, in der sich Sesto nach dem Mord am Vater befindet, in rasenden Attacken hinaus: das schwankt zwischen pubertärem Amoklauf und echtem, dann doppelt gefährlichem Zorn. Christoph Dumaux, Countertenor drei, ist Tolomeo, Cleopatras Bruder und Thron-Konkurrent. Dies ist er auch in der stimmlichen Attacke. Schließlich Countertenor vier, Jochen Kowalski, die lustige Figur im Drama, Kleopatras Kammerdienerin Nirena.
Die vielleicht dichteste Sängerleistung am Premierenabend hat Anne Sofie von Otter gezeigt, zwar weitgehend unbedankt vom Publikum – aber wer hat schon Ohren fürs eher stille Leiden? Sie ist Cornelia, Pompeos Witwe, und sie muss einen ganzen Akt lang ertragen, dass dessen Kopf herumliegt. Die nach innen gekehrte Emotion, all die Mühe der Selbstbeherrschung, die eigentlich stumme Verzweiflung: Das transportiert Anne Sofie von Otter geradezu unvorstellbar intensiv. Das extreme Gegenteil: Ruben Drule als mächtig-vorlauter (aber in dieser Diktion auch genau rollendeckend besetzter) Militär-Haudegen Achilla.
Und über allem, vor allem, gelegentlich auch neben allem: Cecilia Bartoli. Falls wirklich sie und nicht ein Ghost-Intendant es war, die das Regieteam ausgesucht hat, dann hat sie ihren Teil wohlverdient abgekriegt. Denn sie hat am längsten gebraucht am Premierenabend, um eigentlich Tritt zu fassen. Die Arien im ersten Akt wirkten gestalterisch manieriert. Man hatte den Endruck, dass die Bartoli erst im Verein des Ensembles zur Ruhe (die in dieser Oper Händels ganz entscheidend ist) fand. Dann freilich hat sie Piano-Phrasen geliefert, die wie das innere Echo einer Herzensempfindung anmuteten. Die Koloraturen, ja freilich, auf die versteht sie sich. Aber immer wieder eben das Zurückgehen gleichsam ins Innerste, die Reflexion des äußeren Scheins. Cleopatra ist die Rolle für sie.
Giovanni Antonini ist mehr als Dirigent. Als Blockflötist hat er einst ja die Bühne der Originalklangbewegung betreten, und als solcher ist er mit der Kunst der Verzierung und der Diminution vertraut wie wenige. Was er seinen Sängern in den fast vierzig Arien jeweils an Auszierung nahe gelegt hat, ist fulminant. Wäre bloß mehr Ruhe auf der Bühne, um das alles wirklich ungestört verfolgen und goutieren zu dürfen!
„Il Giardino Armonico“ wirkte im ersten Akt eigenartig nebelgrau, hat aber an Kontur gewonnen. Vielleicht ist der Eindruck auch subjektiv: Es braucht halt seine Zeit, bis man als Opernbesucher abgehärtet ist gegen die sagenhaften Regie-Aufdringlichkeiten. In den Akten zwei und drei jedenfalls: eher leises und gerundetes, aber akkurat mitgestaltendes Musizieren im Orchestergraben. Die Rabiat-Alttöner, als die sich „Il Giardino Armonico“ einst einführten, sind diese Leute ja längst nicht mehr und auch Giovanni Antonini wirkt im Temperament ebenso grau meliert wie seine Haarfarbe. Dass die Naturhörner kaum etwas zu tun haben und sich dann ziemlich unvermittelt in der Finalszene mit halsbrecherischen Motiven zu Wort melden müssen – der Schrecken war verkraftbar.
Gerne hätte man, weil die Oper ja so gut wie ungekürzt gegeben wird und daher manches „neu“ wirkt, mehr von der Untertitelung gesehen. Die ist eigenartig lichtschwach und nur mit Mühe zu lesen. Es gäbe neben den gefühlten 3795 Varianten von „piangere“ (Favorit: io piango – ich weine) sicher noch einige aussagekräftige Wörter im Libretto.
Riesenjubel zu Mitternacht, nach geschlagenen fünf Stunden also, für die Sänger. Und ein Buh-Orkan in Naturkatastrophenstärke für die Szeniker. Moshe Leiser und Patrice Caurier zeigen „Asterix bei Kleopatra“ auf der Opernbühne, und das schaut ziemlich eigenartig aus. Weiters wollen sie uns vorführen, dass Krieg, Feindesmacht im Land und politische Ränkespiele zu eskalierender Gewalt auf beiden Seiten führt und die Frauen besonders gefährdet sind. Sogar Cleopatra wird auf offener Szene vergewaltigt! Das wäre ein Ansatz, doch laufen die Ideen völlig aus dem Ruder. Mehr Lächerlichkeit als die gekünstelten Tänzerschritte in den Armee-Szenen (wir befinden uns kostümmäßig wohl auf den Golan-Höhen) ist auf der Opernbühne nicht vorstellbar. Auch die an Seilen fahrenden Raketen verbreiten mehr unfreiwillige Heiterkeit als Schrecken.
Christian Fenouillat (Bühne) hat irgendwo in einer Rumpelkammer wohl noch Holzreste vom alten Kleinen Festspielhaus entdeckt. Aus diesen Furnierhölzern mit Retro-Charme hat er etwas basteln lassen, was nach Kriegszerstörung ausschaut.
Die Top-Szene am Premierenabend: Giulio Cesare fährt per Auto vor. Die Türe klemmt. Da macht der Chef der künftigen Macht im Land traurige Figur. Falls es eine Panne war, sollte man es gleich beibehalten: Es passt gar wundervoll zur Regie-Pleite insgesamt.