Trauer um Haydn und um einen anderen König
PFINGSTFESTSPIELE / CHERUBINI-REQUIEM
14/06/11 Da ist also um die Jahreswende 1804/05 in Paris die Nachricht umgegangen, Joseph Haydn sei gestorben. Und bevor sie noch als Ente entlarvt war, hatte der fleißige und ehrlich betroffene Luigi Cherubini auch schon eine Trauermusik fertig …
Von Reinhard Kriechbaum
Kurios: im selben Sommer noch hat Cherubini Haydn in Wien persönlich getroffen und von ihm die Handschrift der „Symphonie mit dem Paukenwirbel“ geschenkt bekommen. Man schätzte einander über die Maßen – und Cherubini wird wohl taktvoll genug gewesen sein und dem uralten Meister nicht seinen „Chant sur la mort de Joseph Haydn“ unter die Nase gehalten haben. Obwohl: Haydn hätte die Qualitäten wahrscheinlich zu schätzen gewusst.
Cherubinis Meisterschaft liegt im unorthodoxen Umgang mit Form und Instrumentation. Da ist er Haydn ganz nahe. In Summe ist der „Chant sur la mort de Joseph Haydn“, der am Pfingstmontag zur Vormittagsstunde das letzte Konzert dieser Pfingstfestspiele eingeleitet hat, eine Szene, in der sich die französische Grand Opera anbahnt. Manche Satz-Idee nimmt Berlioz vorweg. Die Hörner, die Kontrabässe, dann vier Celli führen hinein in diesen Klagegesang, den wir textlich als schwülstig empfinden, dem Cherubini aber gegenbgesteuert hat mit Anklängen auch an Haydns lichte Instrumentation: ein hoch interessantes Werk.
Riccardo Muti liebt Cherubini, und wenn er etwas liebt und voll dahintersteht, dann ist sein Musizieren tatsächlich unschlagbar. Und so war diese Matinee in der Felsenreitschule eine Lehrstunde in Sachen Cherubini. Was für eine Überfülle unorthodoxe Ideen und Wendungen in seinem „Requiem“! Das Stück ist zum Gedenken an den hingerichteten König Ludwig XVI. entstanden, zu einem Jahrestag der Hinrichtung im Jahr 1817. Die ersten beiden Sätze gewinnen ihr düsteres Chroma aus dem Verzicht auf Geigen. Ob der Tamtam-Schlag am Beginn des „Dies irae“ der erste in der Musikgeschichte ist? An Dramatik ist Cherubinis Ausmalung der Sequenz jedenfalls kaum zu schlagen, aber auch die Beruhigung in den letzten Versen, die Wendung hin zum Vertrauen auf einen liebenden Gott ist einprägsam gefasst.
Das Requiem ist eine Herausforderung nicht zuletzt an die Vokalisten, der Satz ist oft doppelchörig (Männer gegen Frauen). Der bereits in Mercadantes „I due Figaro“ so schlank und beweglich singende Philharmonia Chor Wien und das italienische Ensemble „La Stagione Armonica“ haben auf geradezu wundersame Weise zu einem Klang und, noch entscheidender: zu einer gemeinsamen wortbezogenen Beredtheit gefunden. Da war jedes Wort im Chor recht deklamiert, recht gewichtet. Das Orchestra Giovanile Luigi Cherubini, das die fünf thematischen Neapel-Jahre der Pfingstfestspiele, die nun vorbei sind, so engagiert getragen hat, ist am Ende natürlich auch entsprechend bedankt worden vom Publikum – und natürlich Riccardo Muti selbst. So anfechtbar manche Opernausgrabung in diesen Jahren war – es ist ja doch das Meiste zurecht vergessen: Muti hat Tore aufgestoßen und den Horizont beträchtlich erweitert für ein Publikum, das keineswegs von Natur aus daheim ist im Barock und in der Klassik (sofern sie nicht durch Haydn, Mozart und Beethoven repräsentiert wird).
Die Salzburger Neapel-Jahre werden in guter Erinnerung bleiben.