Silbern küssen die Wellen
PFINGSTFESTPIELE / ACI, GALATEA E POLIFEMO
12/06/11 Polyphem macht ja immer Scherereien, hat etwa die Gefährten des Odysseus gefressen, bis der Listige ihn mattgesetzt und ihm das Auge ausgestochen hat... Polyphem ist aber nicht in jedem Sagenkreis ein Monster. Immerhin macht er sich Hoffungen auf die Gunst der Meeresgöttin Galateia.
Von Heidemarie Klabacher
Dass diese stur und treu den Nymphensohn Akis liebt ist gut für die europäische Kulturgeschichte. Sonst gäbe es Ovids Metamorphose nicht. Und wir hätten weder Raffaels Fresko, noch Händels Opernminiatur - die zauberhafte Serenata a tre HWV72 „Aci, Galatea e Polifemo“.
Im Haus für Mozart sah es am Samstag (11.6.) zunächst so aus, als würde der Riese die beiden Liebenden ohne Umweg über weitere Diskussionen direkt ins Meer fegen und in den nassen Armen seines Vaters Poseidon untergehen lassen: So souverän sang Marcos Fink die Auftrittsarie des Polifemo, dass die bis dahin noch weniger in der Musik geerdeten Liebes-Lamenti und -Schwüre von Aci und Galatea - Sunhae Im und Vivica Genaux - vom Furor des Riesen beinah hinweggefegt wurden. Noch dazu ist in dieser Fassung Acis ein Sopran (und Galatea ein Mezzo), was die Bodenhaftung auch nicht verstärkt.
Die Akademie für Alte Musik Berlin unter der Leitung von René Jacobs setzte markante Signale. Auffallend die scharfen Regalklänge in den Rezitativen Polifemos oder die oft geradezu harten Schläge, ebenfalls vor allen in den Continuo-Stimmen. Der eine oder andere wilde Akzent schien anfangs gar auf Kosten des Dialogs mit den Sängerinnen zu gehen. (Das kann aber auch an der heiklen Akustik im Haus für Mozart gelegen und im Parterre anders gewirkt haben als am ersten Rang.) Jedenfalls schien sich mit dem Auftritt von Marcos Fink mit seinem ebenso profunden wie schlanken und beweglichen Bass die Balance endgültig zu vollenden.
Es wurde wundersam: Die Sopranistin Sunhae Im als Acis gewann immer mehr Präsenz und Strahlkraft. Immer souveräner und präsenter im Stimmklang trat dieser Acis dem Riesen entgegen, ging sehenden Auges in den Untergang. Und immer stärker schienen die Liebenden zu werden. Keine Rede mehr von Schäfergetändel unter Meeresabkömmlingen. Getrennt voneinander nur von den Saiten der Harfe sangen Sunhae Im und Vivica Genaux das kleine Duett „Si molli accenti“: Keine noch so „große“ Opernregie schafft eine solch berührende Intimität, macht die Ausweglosigkeit einer unglücklich-glücklichen Liebe bewegender.
Im anschließenden Terzett poltert Polifem effektvoll hinein in die Liebes- und Treueschwüre voll dramatischer Präsenz und schillernder Farbkraft der Stimmen. Marcos Fink als Polifem, der ja bei aller Kraft ja doch nur ein hilfloser Tölpel ist, hat zuvor schon einmal die Zeit still stehen lassen, in der Arie „Fra l’ombre e gl’orrori“, in der er zu erkennen scheint, dass mit Gewalt keine Liebe zu erringen ist. Aber dann packt ihn wieder die rotzuckende Wut: Grandios, wie René Jacobs und die Akademie für Alte Musik Berlin das Herabdonnern der Felsen, die Acis erschlagen, in Klängen malten. Tatsächlich entwickelten diese wunderbaren Sängerinnen in ihren fließenden grünschillernden Gewändern, ihr ruppiger Gegenspieler in gewöhnlichem Schwarz und einige wenige semi-szenische Gesten die Kraft einer kompletten Opernregie.
Und dann steht zum zweiten Mal an diesem Abend die Zeit still: „Schon entweicht meine Seele mit dem Blut, das ich vergieße“, singt Sunhae Im als sterbender Acis, mit schlanker klarer Stimme, die ins Herz schneidet.
Gottseidank sind wir in einer Metamorphose! Galatea hat mit Hilfe ihres Vaters Nereus, dem „Alten vom Meer“, das fließende Blut des Geliebten in ein Bächlein verwandelt, das sich ins Meer ergießt, in welches die Meeresgöttin nun selber zurückkehrt. Vereint die Liebenden, verzweifelt der Riese. Er bleibt am Ufer zurück und schildert als Augenzeuge dem Publikum die glückliche Vereinigung … Da muss „Große Oper“ schon sehr sehr groß sein, um solche Emotionen zu erwecken. Eine Sternstunde - auch wenn hier keiner der Protagonisten zu den Sternen erhoben wird.