Zwei Figaro sind einer zuviel
PFINGSTFESTSPIELE / I DUE FIGARO
12/06/11. Susanna und Figaro haben sich als Ehepaar nicht mehr viel zu sagen, dafür sind die beiden (konkurrierende) Meister der Intrige. In Saverio Mercadantes „I due Figaro“ geht es darum, dass Ines, die Tochter von Graf und Gräfin, verheiratet werden soll. – Riccardo Muti dirigiert mit Verve diese reizvolle Opern-Auferweckung.
Von Reinhard Kriechbaum
Unverstellt volkstümlich ist die Musik von Saverio Mercadante (1795-1870), manches möchte man auf der Stelle nachpfeifen. Von den Archiv-Ausgrabungen, die man im Lauf der fünf Neapel-Jahre bei den Pfingstfestspielen serviert bekommen hat, sind „I due Figaro“ das mit großem Abstand lohnendste Werk. Mehrere Intrigen laufen nebeneinander, denn Figaro und Susanna protegieren unterschiedlichste Hochzeitskandidaten für die Grafentochter – einer davon ist der inkognito aus Sevilla heimgekehrte Cherubino. Er gibt sich als „Figaro“ aus, was den echten Figaro ebenso in Rage wie in Verlegenheit bringt.
Mit einem Fugato geht die Ouvertüre los, dass man meint, Carl Maria von Weber paraphrasiere den „Geharnischten“-Choral aus der „Zauberflöte“. Aber bald kommen Bellinis Lyrismen daher und artistische Rossini-Schnurren. Und doch: Bei allen Anklängen hat die Musik von Saverio Mercadante etwas sehr Individuelles. Sie ist einfallsreich und bei Wiederholungen immer voller Abwechslung instrumentiert. Einnehmend sind jene Nummern, die unmittelbar auf Tänze zurückgehen: Mit einem Bolero führt Susanna sich ein – das mag wohl eine Reverenz Mercadantes ans spanische Publikum sein: Für Madrid hat er „I due Figaro“ 1826 geschrieben.
Einige Episoden hätten das Zeug zu Wunschkonzert-Nummern, vor allem dann, wenn Mercadante die tendenzielle Ironie im Libretto aufgreift: Gräfin, Tochter und Susanna beklagen in einem ur-witzigen Trio die Etikette und die damit erzwungene Falschheit bei Hofe. Wie sich ein Gerücht verbreitet, anschwillt vom Rinnsal zum Fluss und schließlich zur alles verheerenden Überschwemmung: Das wird im Finale des ersten Aktes so wortreich wie anschaulich ausgemalt. Überhaupt: Die meisten Arien und Ensembles münden in Rossini-artige Furiosi, wo die Silben nur so prasseln.
Als "Melodramma buffo“ sind „I due Figaro“ ausgewiesen. Musikalisches Lustspiel oder Komödie, herzhafter Spaß oder Lächeln unter Tränen? Vor allem der zweite Akt hält eine ganze Reihe ernsthafter Nummern parat: Die Auseinandersetzung zwischen Susanna und Figaro, die sich so überhaupt nichts mehr zu sagen haben, oder die Begegnung zwischen Susanna und Graf (in der Susanna ihr Intrigen-Ziel beinah aus den Augen verliert): Da steckt auch in der Partitur viel Ernsthaftigkeit und Tiefe. Leider ist in der mit drei vollen Stunden Spielzeit schon recht üppigen Oper die Auflösung der Intrigen etwas beiläufig geraten: Felice Romani war halt kein Lorenzo da Ponte (und – natürlich – ist Mercadante kein Mozart, das wäre eine grundfalsche Erwartung).
Da könnte die Regie durchaus ein wenig darüber helfen. Die Salzburger Inszenierung (Emilio Sagi) ist herrlich altmodisch. Der Chor kommt, setzt sich um einen Tisch oder sonst wohin. Es gibt viele Türen in dem Atrium-Haus, so dass erwarteteund unerwartete Auftritte ruckzuck funktionieren. Die Kostüme von Jesus Ruiz, das Bühnenbild von Daniel Bianco und die Menschen-Tableaus – das wirkt alles heiter, pastellig und vor-vorgestrig authentisch.
Aber gesungen und musiziert wird heutig! Es ist in keinem Takt zu überhören, dass Riccardo Muti mit Ernsthaftigkeit und Herzblut hinter dieser Aufführung steht. Vor allem auch: Er weiß mit diesem Stil beredt umzugehen. Die elastischen Tempi, das weich-flockige Parlando der Streicher, die Möglichkeiten für die Bläser (Soloklarinette, Solohorn vor den Vorhang!), ihre Melodien kantabel ausschwingen zu lassen: Das hat Stil und tänzerischen Pfiff, und das Orchestra Giovanile Luigi Cherubini gibt mit spürbarer Lust sein Allerbestes. So wie der Philharmonia Chor Wien (Einstudierung Walter Zeh), der viele Text-Schnurren pünktlich abliefern muss und dabei locker, im Klang duftig und bestens synchronisiert ist.
Und wann hat man schon ein so gleichgestimmtes, junges Sängerensemble beisammen? Antonio Poli ist der Graf Almaviva, ein beweglicher und doch fülliger Tenor mit Leuchtkraft auch in rasenden Tonfolgen. Eleonora Buratto, die Susanna, zieht vor allem gegen Ende alle Ausdrucksregister des Belcanto. Ihr Bolero sichert ihr einen effektvollen Einstieg. Die Rolle der Inez scheint gar nicht so dankbar, aber im zweiten Akt hat sie eine bravouröse Arie: Seufzer, Tränen, Kummer, Qualen – das hat Mercadante in bracouröse Ton-Girlanden gegossen und Rosa Feola macht daraus ein Bravourstück auch im Ausdruck. Annalisa Stroppa ist der Cherubino, Asude Karayavuz die Contessa – stil-geeicht und bestens integriert ins Ensemble, in dem Mario Cassi als Figaro vielleicht nicht jene Figur macht, die der Rolle eigentlich gebührt. Er ist jedenfalls kein Haudegen, und das macht ihn sympathisch.
Omar Mantanari ist Plagio, der junge Komödiendichter, ein Sänger mit profundem und beweglichem Bass. Ein hübscher dramaturgischer Kniff: Diesem Dichter sind die eigenen Ideen ausgegangen, er holt sich bei Figaros Intrige die Ideen für ein Stück – und das bekommt im Lauf des Abends manche Torsion. Aber auf der Bühne wirkt die Geschichte bei weitem nicht so hanebüchen wie in der Synopsis.