Die Kunst der goldenen Mitte
PFINGSTFESTSPIELE / ANDRÁS SCHIFF
21/05/24 András Schiff im Haus für Mozart. Ein Klavier-Rezital in ungeeigneter Akustik? Da auf der Bühne der für ihn gefertigte Mahagoni-Bösendorfer des Pianisten stand und kein alter Hammerflügel, funktionierte die Sache recht gut. Und der wienerische Klang des den Vorläufern noch ähnlichen Instruments tat ein Übriges dazu. Insgesamt eine erhellende und beglückende Matinee.
Von Gottfried Franz Kasparek
Sir András moderierte in bewährter Weise selbst. Er zählt zu den wenigen Leuten seines Fachs, die es verstehen, musikwissenschaftliche Erkenntnisse mit elegantem Plauderton zu verbinden und dabei Wesentliches auf den Punkt zu bringen. Mit seinem altösterreichisch-ungarischem Charme hat er das Publikum mit zwei pointierten Sätzen quasi in der Hand. Seine Liebe zu Wolfgang Amadé Mozart präsentiert er nicht mit aufdringlicher Emphase, sondern mit liebevoller Zuneigung und ohne Übertreibungen. Es stellt die Musik in ihrem Spannungsfeld zwischen Barock und Romantik, ja Moderne, mit pianistischer Perfektion, aber auch mit dem rechten Maß an Leidenschaft dar.
Ein Beispiel dafür war die Gegenüberstellung einer Gigue aus Bachs Französischen Suiten und der kleinen Gigue KV 570, die Mozart in Gedenken an den Thomaskantor in Leipzig geschrieben hat. Zwei geniale Varianten des alten irischen Tanzes, gewiss, aber welch ein fundamentaler Unterschied! Bei Bach vergnügt perlende Motorik, bei Mozart nimmt das fast zwölftönige Motiv in aller Kürze spannende Anläufe, zwischen denen purer Ausdruck schimmert. Nach 1750 fand mit Sicherheit die größte Revolution der Musikgeschichte statt. Die Entdeckung der menschlichen Abgründe und Visionen im „Sturm und Drang“ schlug sich in der experimentellen Kreativität Joseph Haydns und Beethovens und in der fantastischen Verinnerlichung und Emotionalisierung der Klänge wieder, worin Mozart und der von ihm mitunter vorausgeahnte Franz Schubert wohl die größten Meister waren.
Auf Bachs Formkunst bezogen sie sich alle. Schiff hatte sein Konzert mit dem Ricercar aus dem Musikalischen Opfer begonnen, dessen Thema bekanntlich vom Preußenkönig Friedrich II. stammt. Was zur launigen Bemerkung führte, dass so etwas von einem heutigen Politiker undenkbar wäre. Dies stimmt, allerdings sollte man nicht von der Musikbegabung des „alten Fritz“ auf dessen politische Größe schließen, was Schiff ohnehin nicht tat, aber es schwebte ein wenig im Raum. Der König war ein aufgeklärter Musensohn und Reformer, aber auch ein beinharter Kriegsherr mit imperialistischen Zügen. Da auf die Bach'sche Huldigung Mozarts schwermütig durchpulste c-Moll-Fantasie KV 475 und schließlich die unglaubliche, ja ungeheuerliche, im Prinzip zweisätzige F-Dur-Sonate KV 533 folgten, konnte man gleich in die Zukunft schweifen. Denn im Andante kommt es da wie aus der Ferne zu chromatischen Steigerungswellen, die den Pianisten zurecht an Wagner denken lassen.
Das Geheimnis der großen Mozart- Klavierkunst des András Schiff ist es, dass er nie in falsch verzärtelte Lieblichkeit verfällt und auch nicht in zu dick aufgetragene Kraftmeierei. Beides ist im Rahmen der Möglichkeiten dieses Klavierwerks. Schiff findet die goldene Mitte der Mozart-Interpretation, aber auch die oft verschwiegene Tiefe. Gerade die feine Melancholie etwa der den zweiten Teil der Matinee samt zwei entsprechenden Zugaben dominierenden letzten Sonaten bringt er aufs Schönste und Berührendste zum Ausdruck. Manch nur vermeintlich kleinen Stücken wie dem a-Moll-Rondo KV 511 oder der schon erwähnten Gigue gehört seine besondere Liebe. Man könnte ihm, mit nachsinnenden Pausen, noch stundenlang zuhören.