Buffo-Revue und Bilderflut
PFINGSTFESTSPIELE / IL BARBIERE DI SIVIGLIA
04/06/22 Gute alte Operettensitte: Nach dem ersten Applaus-Durchgang wiederholte das Ensemble das schmissige Finale von Rossinis Il Barbiere di Siviglia – wozu das Publikum rhythmisch klatschte. Regisseur Rolando Villazón sang und tänzelte mit. Standing Ovations für einen abwechslungsreichen bunten Abend.
Von Gottfried Franz Kasparek
Wiederholungen von Glanznummern waren im Musiktheater früher gang und gäbe, sind heute aber, abgesehen von Cavaradossis Sternenarie und Dein ist mein ganzes Herz, sehr selten geworden. Der Sympathicus Villazón vereint gerne Bühne und Publikum zu einer großen Familie. Gioachino Rossinis Buffo-Oper aller Buffo-Opern gerät ihm zu einer tollen Revue. Man ist heutzutage ja schon dankbar dafür, dass die Geschichte eines Stücks glaubwürdig erzählt wird – und dies findet im Haus für Mozart immerhin statt. Natürlich herzhaft garniert mit einer furiosen Fülle von oft clownesken Gags und Überzeichnungen, die aber zum Genre ohnehin dazugehören. Da die Besetzung eine großteils italienische ist, macht es Spaß, wie perfekt das Ensemble die typische „vis comica“ erfüllt.
Die Bühne von Harald B. Thor spielt alle Stücke, atmosphärisch ein Phantasie-Sevilla mit verschiebbaren Häuserfronten beschwörend. Brigitte Reiffenstuehls Kostüme vermengen im ersten Akt kleidsam und farbenfroh Spanisches mit Mexikanischem, im zweiten befinden wir uns in einer Art Hotellounge aus den 20er-Jahren des vorigen Jahrhunderts. Lichtregie (Stefan Bolliger), Choreographie (Ramses Sigl) und Videokunst (rocafilm) tragen das Ihre zum Gelingen bei.
Schon zur Ouvertüre wird im Stil historischer Filmschinken der Künstlerischen Leiterin und Primadonna „La Bartoli“ gehuldigt. Vor der Pause wird die Schwarz-Weiß-Verdoppelung des turbulenten Bühnengeschehens mittels Video-Projektionen mitunter zu viel, nach der Pause geht es etwas dezenter zu. Wenn eintreffende Personen die gefilmten Treppen herabschreiten, besonders eindrucksvoll der skurrile langfingrige Opportunist Basilio, um dann analog aus den Türen zu treten, so sind dies freilich schöne Beispiele dafür, wie man moderne Medien bühnengerecht und dramaturgisch stringent einsetzen kann. Die Gefahren der Reizüberflutung und der Benützung der Musik als Soundkulisse sind aber manchmal bedenklich nahe. Insgesamt aber funktioniert die Komödie im Haus für Mozart erfrischend zeitlos und mit viel parodistischem Augenzwinkern.
Gianluca Capuana erforscht am Pult seines reschen und akkuraten Originalklangorchesters „Les Musiciens du Prince – Monaco“ Rossinis geniale Partitur mit Geist und Witz. Manches, wie die Begleitfiguren zu Basilios und Bartolos Arien, klingt in dieser historisch informierten Lesart fast wie neue Musik. Die Crescendi wirken eher kantig konturiert, reißen aber in ihrer lapidaren Energie dennoch mit. Der Maestro arbeitet auch feine lyrische Linien liebevoll heraus, atmet mit den Menschen auf der Bühne und lässt das Hammerklavier in den vom Orchester begleiteten Teilen zwar oft pointiert mitspielen, aber nie dominieren.
Was der Pianist Andrea Del Bianco und der Cellist Francesco Galligioni in den nicht von Rossini, sondern von dessen Gehilfen stammenden Rezitativen an sensibler Stimmung erzeugen, ist aller Bewunderung wert. Dabei bedienen sie sich vorwiegend alter Filmmusik, die improvisatorisch und zu den Videos kommunizierend einfließt. Da trifft in der Tat die anno 1816 ja ebenfalls wirksame frühe Romantik in die Zeiten überspannender Spielart auf das sprichwörtliche Brio Rossinis. Allerdings wird der ohnehin lange erste Akt durch diese und auch durch Arieneinlagen aus späteren Fassungen noch länger, wenn auch nicht langweiliger. Aber man braucht schon eine gewisse Kondition. Zum Glück wird die Maskerade des Publikums nur mehr empfohlen, nicht mehr vorgeschrieben. Entlüftung ist erlaubt.
Nicola Alaimo ist ein wahrlich raumgreifender Tausendsassa Figaro mit der selbstironisch fokussierten Behändigkeit eines Falstaff. Er trumpft mit saftigem Bariton ebenso gekonnt auf wie mit seiner weiß leuchtenden, riesigen Barbierjacke, allerlei Slapstick-Einlagen und seinen Künsten als Scooter-Fahrer. Cecilia Bartoli hat 1987 als Rosina debütiert, ist also ein recht reifes Mündel. Ihre Stimmtechnik ist so erhaben und ihre grandiose singschauspielerische Begabung so berückend, dass man ihr die Figur immer noch abnimmt. Sie beherrscht den riesigen Vogelkäfig, in dem sie zeitweilig eingesperrt wird. Der Lustgreis Bartolo, dem Alessandro Corbelli seine Charakterbariton-Qualitäten und feinnerviges Spiel verleiht, kann auch einfach menschlich berühren. Edgardo Rocha wirkt als viril agierender „Latin Lover“ Almaviva stimmlich anfangs etwas unsicher und in der Höhe gepresst, was sich aber im Lauf des Abends immer mehr verflüchtigt und echten Tönen eines „Tenore di Grazia“ Platz macht.
Ildebrando D'Arcangelo zeichnet den Verleumder Basilio als dunkles Monster und singt mit echter Bass-Autorität und mächtiger Komik. Seine Nosferatu-Erscheinung passt dazu, dass im wilden Finale des ersten Akts als stumme Rolle Frankenstein auftaucht (Mary Shelleys Roman stammt aus dem „Barbier“-Jahr), neben Kriegsgesellen aus mehreren Jahrtausenden. Zur stummen Hauptrolle wird der äußerst bewegungsfreudige, schlaksige, mimisch sehr eindrucksvolle Erzkomödiant Arturo Brachetti, der offensichtlich seinen eigenen Film dreht und nebenbei in diverse Kleinstrollen schlüpft.
Aufgewertet sind die Dienstboten. José Coca Loca ist mit souveränen Basstönen Almavivas wohl aus den Kolonien mitgebrachter, indigener Diener Fiorillo. Die im besten Wortsinn herzige Mexikanerin Rebeca Olvera kämpft als Berta mit Niesreiz und singt ihr Couplet im zweiten Akt mit echtem Zarzuela-Charme und Diseusen-Pep, was einen Sonderapplaus garantiert. Aus den Reihen der von Walter Zeh bestens einstudierten Männerabteilung des Philharmonia Chors aus Wien stammen Max Sahliger (der elegant verschlafene Ambrogio) und Manfred Schwaiger (ein stoischer Bonze mit Zigarre namens Domenico La Forza) und beide fügen sich mit großem Können in das Ensemble. Resümee: Prädikat sehens- und hörenswert.
Eine weitere Aufführung am Pfingstsonntag (5.6.) um 15.30 und Wiederaufnahme bei den Festspielen am 4. August - www.salzburgerfestspiele.at
Bilder: SF / Monika Rittershaus