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Der liebe Gott mag kein Gemüse

FESTSPIELE PFINGSTEN / ORATORIUM CAIN

25/05/21 Es ist ein bisserl so, wie wenn Michael Köhlmeier die Bibel nachdichtet, also super anschaulich: Da steigt der Grillduft von Abels geopfertem Lamm dem lieben Gott wohlgefällig in die Nase. Kain hingegen bringt sein Gemüse partout nicht zum Brennen und deutet das in dem Sinn, dass Gott sein Opfer ablehnt.

Von Reinhard Kriechbaum

Gott ist ganz offensichtlich kein Vegetarier, vielleicht ist nicht mal ausgewogene Mischkost seine Sache. Der Ingrimm des Gemüsebauern Kain, geschürt vom Teufel als Einflüsterer, ist schon verständlich. Die Folgen sind, wie wir aus dem Buch Genesis wissen, fatal. Cain, overo Il primo Omicidio, heißt ein tolles Oratorium von Alessandro Scarlatti. Die Story vom ersten Mord der Menschheitsgeschichte. In zweiter Generation schon. Am Pfingstmontag zur Mittagsstunde konnte man das Stück bei den Pfingstfestspielen im Haus für Mozart kennen lernen – eine gestenreiche, vielfältige Musik von hoher Anschaulichkeit. Und man konnte ein Vokal-Fest erleben von drei ganz wunderbaren singenden und einem dirigierenden Countertenor.

Oper gab's während der Fastenzeit in Italien nicht, und so sind die Opernensembles quasi ins Konzert-Exil gegangen. Die Komponisten schrieben ihnen Oratorien, die den Opern an Ausdruckskraft und Wirkung in nichts nachstanden. Im Fall von Scarlattis Cain, overo Il primo Omicidio hatte ein venezianischer Principe Ottoboni (Vater jenes Kardinals Pietro Ottoboni in Rom, der beim jungen Händel Oratorien in Auftrag gab) als Textdichter seine Hand im Spiel. Ein wahrer Vorgänger Köhlmeiers, der die Story anschaulich aufdröselte und die Geschichte gleich noch mit dem Erlösungswerk Christi hintrimmte. Ein gelungener Kompromiss aus Katechese und Beinahe-Oper. Der Komponist wusste das Angebot mit beachtlichem Erfindungsreichtum zu nutzen.

Fast ein Treppenwitz der Musikgeschichte: Die Noten gelangten nach Scarlattis Tod in den Besitz des Messias-Textdichters Charles Jennens. Händel nahm die Notenkiste in Augenschein. Ein Schelm, wer sich auf die Melodie-Ähnlichkeit der Abel-Arie vom „puro agnello“, dem reinen Lamm und Händels Er weidet meine Herde seinen Reim macht. Händel wusste, was gut ist...

Bei den Pfingstfestspielen nun ein wahres Sänger-, insbesondere ein Countertenor-Fest. Drei verschiedene Stimmlagen und Timbres. Die Rolle des Abel verlangte nach einem Kastraten in höchster Sopran-Lage. Bruno de Sá ist gerade dafür Spezialist, eine Madame Silberklang (© Mozart, Der Schauspieldirektor) von Gnaden. Kain, den die Eifersucht zum verbiesterten Mörder macht, ist das, wass man heute Mezzosopran nennt – Filippo Mineccia hat das Porträt des vom Teufel (dem Bass Yannis Francois) vor sich her getriebenen Brudermörders gezeichnet. In abgerundeter Altlage schließlich die „Voce di Dio“ von Paul-Antoine Bénos-Djian.

Wie man mit Countertenören umgeht, wie man sie begleitend auf Händen trägt und ihnen – was das Musik-Dramatische betrifft – alle nur erdenklichen Haltegriffe bietet, das weiß einer wie Philippe Jaroussky. Der Sänger gab hier sein Festspiel-Dirigierdebüt. Ensemble Artaserse heißt das von ihm mitbegründete Originalklang-Ensemble, das für jene Professionalität steht, die man heutzutage im Originalklang-Bereich als selbstverständlich voraussetzt.

Adam und Eva waren zur Zeit des Brudermords auch noch auf der Welt, erleben die Familientragödie also mit. Genug Möglichkeiten für Kresimir Spicer und Inga Kalna, zu hoffen, zu bangen, zu bemitleiden, zu klagen. Mit dem eigenen Sündenfall haben sie ja auch selbst genug auf dem Kerbholz. Und jetzt ist Abel ermordet und Kain, gezeichnet mit dem Kainsmal, hat sich aus dem Staub gemacht. Gott mag wohl noch immer kein Gemüse, aber er hat einen kluge Strategie auf Lager: Zeugt weitere Nachkommen! Hat funktioniert. Die Menschheit hat den ersten Mord er- und überlebt.

Bilder: Salzburger Festspiele / Marco Borrelli

 

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