Von Ländern und Menschen
FESTSPIELE PFINGSTEN / POEMA SINFONICO
23/05/21 Deutscher – und das kann ein großes Kompliment sein – deutscher kann Mendelssohns Italienische nicht daherkommen, als beim grandiosen Konzert des Orchestra del Maggio Musicale Fiorentino unter Zubin Mehta. Maxim Vengerov betörte mit dem Violinkonzert. Nur Ottorino Respighis Römische Pinien wuchsen nicht im Deutschen Märchenwald.
Von Heidemarie Klabacher
Würden nicht immer alle die Italianità von Mendelssohn Bartholdys Symphonie Nr. 4 A-Dur op. 90 diskutieren, wäre man selber nie auf die Idee gekommen, ein allfälliges „Programm“ ausgerechnet in Arkadien suchen zu wollen. Zubin Mehta, im Fünfundachtzigsten, bewegt sich behutsam auf das Dirigentenpult zu, und legt dort angekommen los, wie keiner im Fünfundzwanzigsten. Wie einen Diabolo, einen Kreisel, hält der jugendfrische Maestro das federleichte Material des ersten Satzes mit leichter Hand in Schwung. Kleine Blumen, kleine Blätter von den Frühlingsgöttern tändelnd auf ein luftig Band gestreut, fallen einem eher dazu ein, als irgendwas sinnlich-römisch Karnevaleskes.
Wie der zweite Satz, eine unerbittliche Basslinie unter der deutlich erkennbaren Melodie von Es war ein König in Thule, je in einen italienischen Kontext gebracht werden konnte, weiß nur die Musikwissenschaft. In der Lesart des Orchestra del Maggio Musicale Fiorentino unter Zubin Mehta in der Matinee im Großen Festspielhaus am Samstag (22.5.) klang das jedenfalls wie Schubert pur. Und das ist ebenfalls ein Kompliment, wenn man auch tatsächlich die schlichtere Vertonung des Liedes von Carl Friedrich Zelter meint: Ernst, aber (vielleicht das ein römisches Indiz) elegant schreitend, die Melodie wie ein Volkslied ausgesungen...
Die Hornsignale im dritten Satz klangen jedenfalls weniger nach italienischem Hain, denn nach deutschem Tann. Und wenn eine so temperamentvoll hingefegte Tarantella samt leichtfüßig eingesprungenem Saltarello „italienisch“ sind, dann soll das halt „italienisch“ sein. Voll Temperament, voll Leben. Bravi.
Solist im Konzert für Violine und Orchester e-Moll op. 64 von Felix Mendelssohn-Bartholdy war Maxim Vengerov, der, wie er dem Publikum in Erinnerung brachte, Zubin Mehta seit dem Beginn seiner Karriere eng verbunden ist. Das amalgamhafte Miteinander von Orchester und Solisten in diesem Schlüsselwerk für die Gattung Violinkonzert entfaltete sich nach den präzisen Vorstellung des Dirigenten zu einem Panorama, aus dem die Stimme der Solovioline wohl immer wieder heraustrat, die Geschlossenheit der nahtlos ineinandergreifenden Sätze aber wahrte. Der Geigenton Maxim Vengerovs, seine Präzision, seine Musikalität – ein Erlebnis, das einer der ganz großem Geiger dieser Tage dem Publikum bescherte.
Ottorino Respighis Pini di Roma – Poema sinfonico aus dem Jahr 1924 – vier Charakterstücke, Genreszenen, die man nun wirklich bereit ist in Italien zu verorten: Selbstbewusst rauschen die Pinien bei der Villa Borghese. Ein wenig vom jüngsten Gericht raunen jene neben dem Eingang zu den Katakomben. Delikat das nächtliche Sich-Wiegen der Pinien im Mondschein auf dem Gianicolo, dem römischen Hügel, auf dem der Gott Janus einmal einen Tempel gehabt haben soll. Und die Pinien neben der Via Appia dokumentieren nicht weniger als den prächtigsten Triumphzug des mächtigsten aller römischen Feldherren. Welchen auch immer Respighi dabei im Sinn hatte: Grandiose Programm-Musik, grandios umgesetzt. Ein heiteres Konzert, italienisch, deutsch – oder ganz einfach deutsch-italienisch. Wer reist denn, seit Goethe, mehr nach Italien als die Deutschen.