Der Teufel trägt nicht Prada
FESTSPIELE PFINGTSTEN / IL TRIONFO DEL TEMPO
21/05/21 Egal wie hochmütig, habsüchtig, wollüstig, verfressen, zornig, neidig oder träge man bisher gewesen sein mag. Nach zweieinhalb geschlagenen Stunden ohne Wasser, Luft und Klo hat man seine Sünden abgebüßt. Lossprechung und Ablass erhalten. Der Abend zahlt sich also aus, denn Il trionfo del Tempo e del Disinganno ist auch eine Sternstunde der alten Musik.
Von Heidemarie Klabacher
Da hat also die Schönheit – wir bewegen uns mit Georg Friedrich Händel im Reich der allegorischen Figuren – einen Knebelvertrag mit dem Vergnügen geschlossen. Zeit und Erkenntnis, Männerrollen natürlich, haben alle Hände voll zu tun, die Schönheit gehörig zu katechisieren, psychotherapieren. Zu zerstören.
Es gelingt bravourös. Die Schönheit wandelt am Schluss ganz allein, barfuß und im Büßerhemdchen über die leere ausgeräumte Bühne – wo vorher Glanz und Glamour, Backstage-Trubel im Topmodell- und Kokser-Milieu geherrscht haben – Richtung Bühnentor. Und das führt garantiert nicht in den Toscaninihof, sondern schnurstracks via Läuterungs-Mönchsberg in den Himmel. Vielleicht aber auch nur „nach Lehen“, „Puntigam links“, in den Steinhof oder sonst eine Bewahranstalt für Gebrochene. Perfid, in welch schönem musikalischen Gewande die manipulativen Argumente von Lawrence Zazzo als Disinganno und Charles Workman als Tempo vorgebracht werden.
Cecilia Bartoli und Mélissa Petit erinnern, es wird anfangs aber auch wirklich aufdringlich mit einer Vouge gewachelt, zunächst an Meryl Streep und Anne Hathaway im Film(chen) Der Teufel trägt Prada. Nur ist mit dem Vergnügen – die Figur des Piacere steckt mit La Bartoli in einem knallroten Samtanzug – noch viel weniger zu spaßen, als mit jeder in der Branche noch so gefürchteten Mode-Chefredakteurin. Die Schauspielerin Anne Hathaway emanzipiert sich im Film von einer alles verschlingenden machtbesessenen Despotin. Das tut auch auch die Sopranistin Mélissa Petit. Nur wird die arme Schönheit, anderen, geistlichen, Manipulatoren, auf den Leim gegangen, letztlich gar kein Leben mehr führen.
Dabei hat es so cool angefangen, nämlich als TopModellCastingShow, aus der die spätere Allegorie der Bellzza als Gewinnerin hervorgegangen ist. Die attraktiven Mitbewerber und Mitbewerberinnen werden als Tänzerinnen und Tänzer gecastet und mit grandios choreografierten und virtuos umgesetzten Performances die Produktion maßgeblich prägen. Die dreiköpfige Jury wird zu den drei weiteren allegorischen Hauptfiguren, neben Cecilia Bartoli als Piacere sind das Lawrence Zazzo als Disinganno und Charles Workman als Tempo.
Gianluca Capuano leitet das Ensemble Les Musiciens du Prince-Monaco. Vor den Vorhang gebeten gehören die Continuo-Solisten, die dem so subtil wie fetzig (man kann zu Barockmusik wirklich abrocken) musizierten Orchesterpart überirdische Glanzlichter aufsetzen: Als da sind Luca Quintavalle Cembalo, Robin Michael Violoncello, Miguel Rincon Rodriguez und Elisa La Marca Theorbe und Marta Graziolino Harfe. Von der Orgel Davide Pozzis kommen ganz betörende Beiträge, Solokonzerte im Kleinen, pure Kostbarkeiten. Die vier Solisten singen auf dieser Orchesterbasis brillant. Delikate wendige Phrasierung, raumfüllende Pianissimi – gesungene Klangrede eben. Was soll man über Stimmsitz schwafeln.
Die Personenführung von Regisseur Robert Carsen ist geradlinig, die Machtverhältnisse sind aber auch von Anfang an klar: Wie in jeder modernen Casting-Show verkaufen die Teilnehmerinnen Körper und Seele. Opulent und technisch aufwändig ist die Ausstattung von Gideon Davey. Die Bilder sind so anschaulich wie plakativ, nicht „barock“ sondern topmodern: Backstage-Garderobe (inklusive Friseur), Clubbing-Lounge (mit DJ) oder Foto-Studio umrahmt mit überdimensionalen Digitaluhren. Das Herunter-Rasen der Hundertstelsekunden veranschaulicht – fast ein wenig überdeutlich – das Vergehen der Zeit und untermauert die Argumente der sie darstellenden Figur. Enorm ist also der Einsatz technischer Hilfsmittel vor allem im ersten Teil: Greenscreen, Videozuspielung (rocafilm), Steadicam und Live-Kamera (grandiose Morphing- oder sonstige Effekte von Giuseppe Torcaso Thomas Achitz und Timo Neubauer). Es ist einiges aufgepfropft auf Händels Oratorium (Oper spielen war in diesen Tagen im Ewigen Rom nach päpstlicher Verordnung ja verboten), in dem ja doch nur vier Figuren singen. Aber trotz der grellbunten, licht- und bildstarken Szene (Beluchtung Robert Carsen und Peter Van Praet) behauptet sich spielerisch der oft stark kontrapunktische Orchestersatz.
Gegen Schluss bekommt das Vergnügen fast ein schlechtes Gewissen gegenüber der psychologisch fast schon gebrochenen Schönheit – da singt La Bartoli dann Lasse die Dornen, pflücke die Rose. Man hat die Arie, die man sonst mit dem Text Lascia ch'io pianga und aus Rinaldo kennt, von Sopranistinnen schon engelsgleicher singen gehört, aber noch nie eindrücklicher gestaltet. Auch schwebt im A-Teil der Arie die Intendantin der Pfingstfestspiele mittels Projektion wie ein Dschinn über der Szene, bevor sie zum B-Teil in leibhaftiger Person auf die Bühne kommt. Um was zu tun? Die Schönheit ein letztes Mal an sich zu fesseln oder ihr doch Mut zuzusprechen versuchen: Genieße wenigsten ein bisserl das restliche Leben ...
Il trionfo del Tempo e del Disinganno, ein Oratorium Georg Friedrich Händels auf ein Libretto von Kardinal Benedetto Pamphili (was die erzkatholische Läuterungstendenz erklärt) wird im zweiten Teil der Produktion deutlich asketischer: Da halten Ausstattung und Regie dem Publikum – im Wortsinn – einen den Bühnenhintergrund füllenden Spiegel vor. Das macht gehörigen Effekt und unterstützt die Selbstreflexion, falls die manipulativen Seelenheilretter mit ihrer Kasteiungs-Botschaft noch nicht bis in die letzte Reihe durchgedrungen sein sollten. Am Ende haben wir es alle kapiert. - Wo ist bloß die nächste Disco?