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Ein kardiologischer Flächenbrand

PFINGSTFESTSPIELE / GEISTLICHES KONZERT

11/06/19 Cecilia Bartoli und das Stabat Mater von Pergolesi – das ist nicht das Erste, was einem zusammen einfiele. Aber es zeichnet die Primadonna assoluta der Pfingstfestspiele aus, dass sie sich nicht nur von der Publikumssonne anstrahlen lässt. Gerne und mit Neugier experimentiert sie mit sich, mit ihrer Stimme und ihrem Repertoire.

Von Reinhard Kriechbaum

So kam am Pfingsmontag (10.6.) Vormittag im Großen Saal des Mozarteums eine höchst aufschlussreiche Besetzungskonstellation heraus: Die Mezzosopranistin Bartoli hat die hohe Singstimme übernommen, Franco Fagioli die tiefere. Er gibt seinem zu perlenden Koloraturen fähigen Countertenor in der unteren Lage eine virile Männerstimmen-Färbung. Das passiert nicht ohne Brüche, aber es bringt Optionen, das Expressive des Werks von Pergolesi, das meist eher im puren Schönklang ertrinkt, auszureizen. Fagioli liebäugelt durchaus mit Manierismen, und das ist dem Stück, wie man erleben durfte, keineswegs abträgig.

Dazu die Cappella Gabetta (um den Geiger Andrés Gabetta). Dieses Grüppchen von Intensiv-Klangrednern, die sich in etwa so draufgängerisch gerieren wie die Leute von Il Giardino armonico vor drei Jahrzehnten, lässt niemals zwei und zwei gerade sein. Jede melodische Wendung, jede Akkord-Reibung wirkt ausgetestet, eingespannt in die Interpretations-Schraubzwinge und sehr gezielt zurechtgebogen. Da fahren schon in die ersten Vorhalt-Dissonanzen schmerzhaft in die Knochen, und die Achtelnoten der Streicher werden mit einer Energie angerissen, dass man an das Einschlagen der Kreuznägel denkt...

„Fac ut ardeat cor meum“ – das Herz ist in dieser Interpretation nicht mit dem Zündholz in Brand gesetzt worden: ein kardiologischer Flächenbrand! Es fehlten aber auch nicht Blicke nach innen. Mehr als einmal erreichte die Wiedergabe eine leise Intensität, dass man sich ob dieser Klage der Mutter vor dem gekreuzigten Sohn tatsächlich wie ein Mittäter fühlen musste (das ist ein wesentlicher Aspekt, den der Text aus dem 13. Jahrhundert vermitteln möchte).

Der Anfang der Programmfolge gehörte dem Countertenor allein, im Psalm 126 Nisi Dominus von Antonio Vivaldi., auf den die Bartoli ein Häppchen aus dem Gloria, den „Domine Deus“-Abschnitt, folgen ließ – wie eine vorweggenommene Zugabe, weil nach dem Stabat Mater eine solche schwerlich denkbar gewesen wäre. In beiden Fällen war es mehr als erhellend, wie die Cappella Gabetta (durchwegs Musiker der stilsicheren und technisch fulminant ausgebildeten sehr jungen, Originalklang-Generation) den Sängern zuarbeitete.

Und ein eigenes Kapitel in diesem Konzert war Vivaldis Violinkonzert D-Dur RV 208, das man unter dem Namen Grosso Mogul kennt, aber an diesem Vormittag eigentlich nicht wiedererkannte: Man glaubt es kaum, was der so erfindungsreiche wie virtuose Geiger Andrés Gabetta aus dem Solopart herausholt, wie er Akkordzerlegungen, die man eher als gefälliges Füllwerk im Ohr hat, plötzlich in den Reang bedeutender Argumente im Zwiegespräch mit dem Ensemble hebt. Mit „Recitativo“ ist der langsame Satz in diesem Konzert überschrieben, aber Gabetta macht aus dem ganzen Werk ein solches. Und dies auf einer technischen Stufe, die einem nebenbei auch vermittelt: Paganini hat ein gutes Jahrhundert später seine Geigenvirtuosität nicht im luftleeren Raum entwickelt. Grenzenloser Jubel für alle Beteiligten.

Bilder: Salzburger Festspiele / Marco Borrelli

 

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