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Vom ersten Mord der Menschengeschichte

PFINGSTFESTSPIELE / LA MORTE D'ABEL

10/06/19 Auch die erste Familie dieser Welt musste sich mit pubertären Söhnen herumschlagen. Zoff also im Hause Adam und Eva. Mit Kain kann man einfach nicht vernünftig reden! So etwa ging der Librettist Pietro Metastasio das biblische Thema Kain und Abel an, für Antonio Caldaras Oratorium La morte d'Abel.

Von Reinhard Kriechbaum

Abel hat einen Stern vom Himmel fallen sehen und deutet dies so, dass sein Opfer Gott wohlgefällig sei. Kain rast vor Eifersucht. Was aber tun mit einem Halbwüchsigen, der sich hemmungslos hineinsteigert ins Gefühl, zurückgesetzt zu sein?

Gutes Zureden von Eva nützt nichts. Ein Engel, der pädagogisch aktiv wird, macht die juvenile Raserei nur noch schlimmer. Adam richtet auch nichts aus. Teil eins des Oratoriums endet zwar in familiärer Umarmung, aber der Frieden ist trügerisch. Längst hat Kain den Brudermord im Kopf. Mit hinterfotzigen Argumenten lockt er Abel, der sich (mit mulmigem Gefühl) von der Mutter verabschiedet, aufs Feld... Fazit der Eltern nach dem Fiasko: Es war nicht pädagogisches Versagen, sondern Folge eigener Erb-Schuld. Aber Adam sieht einen Lichtstreif am Horizont, ahnt einen „wahren Abel“ (Jesus Christus), der mit seinem Blut die Sache wieder einrenkten wird.

Am Pfingstsonntag (9.6.) Vormittag im Großen Saal des Mozarteums wurde eine Rarität sondergleichen gehoben. Antonio Caldaras La morte d'Abel ist ein typisches Oratorium zur Fastenzeit, wie es als Sepolchro im Hochbarock am Wiener Kaiserhof üblich war. Statt in die Oper ging man in die Kirche, in dem Fall: 1732 in die Wiener Hofburgkapelle. Die musikalischen Mittel, die Optionen der Libretti für den Ausdruck großer, opernhafter Gefühle waren dieselben. Und der hochberühmte Pietro Metastasio hat auch theologische Gedanken in einen griffigen Opernstoff verwandelt. Nicht ohne Grund haben nach Caldara (1670-1736) rund vierzig andere Komponisten zu diesem Libretto gegriffen – unter anderem auch der letzte Salzburger Hofkapellmeister Luigi Gatti.

Was für ein Unterschied zwischen Porporas tags zuvor aufgeführtem Polifemo und dem Werk Caldaras! So wie sein Vorgesetzter Johann Josef Fux, dem Antonio Caldara als Vizekapellmeister zuarbeitete, brauchte sich dieser Komponist nicht scheren um die Vox populi, also auf den wirtschaftlichen Erfolg durch Publikumszulauf: Fux und Caldara, im Dienst des selbst komponierenden Habsburgerkaisers Karl VI., schrieben nicht für ein Massenpublikum, sondern für des hochmusikalischen Kaisers und seines engen Umkreises fein gespitzte Ohren. Es ist hoch anspruchsvolle, feinsinnige, auch hintergründige „Spezialistenmusik“. Dies steht bis heute einer breiteren Rezeption der Werke von Fux und Caldara entgegen.

La morte d'Abel zeichnet ein kontrapunktisch ausgefuchster Orchestersatz aus. Für den Dirigenten Gianluca Capuano (der die Partitur auch selbst editiert hat) eine mehr als lohnende Herausforderung. Höhepunkte sind die zwei Arien der Eva: Einmal beklagt sie die auf sich geladene Erbschuld, und da umspielen die Streicher die Singstimme kantig und metrisch launenhaft – es ist,als ob ihr der Boden unter den Füßen weggezogen wird. In der Trauer-Arie um Abel stockt Eva dann schier das Blut in den Adern, und die letzte Streicher-Dissonanz will sich beinah nicht auflösen. Einmal tritt eine Posaune zu den Streichern: Es ist eine Arie von Kain, der zu dem Zeitpunkt zwar noch nichts bereut, aber doch den Ruf des Jüngsten Gerichts hört.

Am liebsten wollte man das gut zweistündige Werk gleich nochmal von vorne hören. Schade, dass das Konzert nicht mitgeschnitten wurde – es war eine Interpretation, die Maßstäbe setzte.

Die Rolle des Abel wurde einst eigens für den hochberühmten Kastraten Farinelli geschrieben, um den die Pfingstfestspiele heuer kreisen. Für die Salzburger Aufführung hat sich Gianluca Capuano dann doch für eine Frauenstimme, für die Sopranistin Lea Desandre entschieden. Sie und Julie Fuchs (Eva) sowie Nuria Rial (Engel) bildeten ein schier unübertreffliches Ensemble aus Sopran-Stimmen, keine dominierend, aber jede mit eigenem Charisma. Auch der Gegenspieler natürlich in Sopranlage: Christophe Dumaux' Countertenor zeichnet eine metallisch-silbriges, manchmal schneidiges Timbre aus. Ein Idealfall für Kain, den dauergekränkten und angriffigen Brudermörder. Fünfter im Bunde war der mit schlanker, tiefschwarzer Bassstimme sich argumentationsstark gegen die Übermacht der Soprane behauptende Nahuel di Pierro (Adam). Klein aber anspruchsvoll die Aufgabe des in diesen Tagen bei den Pfingstfestspielen dauerbeschäftigten Salzburger Bachchores - auch für diesen polyphonen Schlusskommentar hat Antonio Caldara sich Gediegenes einfallen lassen.

Bilder: Salzburger Festspiele / Marco Borrelli

 

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