Weltstars im Wunschkonzert-Modus
FESTSPIELE PFINGSTEN / FARINELLI & FRIENDS / GALAKONZERT
09/06/19 Farinelli bezauberte seine Zuhörer allein durch die Stärke, den Umfang und den wunderbaren Klang seiner Stimme: „Er setzte sie in Erstaunen, ohne etwas zu spielen, zu artikulieren oder auszudrücken.“ Das können Sängerinnen und Sänger noch immer. Und die Musik der Kastraten ist zeitlos schön. Zum Glück klappt sie auch ohne männliche Genitalverstümmelung.
Von Heidemarie Klabacher
Eine repräsentative Auswahl der aktuell besten Barocksängerinnen und -sänger bescherten dem Publikum des Galakonzerts Farinelli & Friends am Samstag (8.6.) im Großen Festspielhaus einen Klangrausch von geradezu olympischem Ausmaß: Auf dem Programm standen zwei ultrakurze rahmengebende Chornummern von Händel und zwanzig Arien, darunter drei Duette, vorwiegend für Kastraten geschrieben zwischen 1705 bis 1744 von Georg Friedrich Händel und Nicola Antonio Porpora, von Jean Philippe Rameau oder Tomaso Albinoni oder von weniger bekannt gebliebenen Komponisten wie Giuseppe Maria Orlandini oder Riccardo Broschi, dem Bruder des legendären Kastraten Carlo Broschi genannt Farinelli.
Zu seinen und seiner Schicksalsgenossen Ehre und Andenken aufgeboten haben die Salzburger Festspiele Pfingsten unter der Intendanz von Cecilia Bartoli einen strahlenden Querschnitt aus dem Who is Who des Barockgesanges. Immer wieder hielten die Stimmfreaks (und es waren samt Podiumssitzen wohl gut 2400 solche versammelt) den Atem an, angesichts dieser Konzentration an Kompetenz, Virtuosität, Gestaltungskraft und Musikalität.
Es sangen – nach Stimmfach in alphabetischer Reihenfolge – die Sopranistinnen Julie Fuchs, Patricia Petibon, Sandrine Piau und Nuria Rial, die Mezzosopranistinnen Cecilia Bartoli, Lea Desandre, Vivica Genaux und Ann Hallenberg sowie die beiden Countertenöre Christophe Dumaux und Philippe Jaroussky. Begleitet, wurden die Solisten vom Ensemble Les Musiciens du Prince-Monaco unter der Leitung von Gianluca Capuano.
Es war nicht nur ein opulentes Schwelgen im Schönklang verschiedenster Stimmen im schönen Wechsel dramatischer, lyrischer oder heiterer Nummern auf die Länge einer ausgewachsenen Barockoper: Weltstars ihres Faches ohne Regie im Wunschkonzert-Modus zu erleben, ist spannend.
Die eine stellt sich schlicht hin, hebt ein nur ganz wenig ab und liefert ein zwei handbreit über dem Erdboden schwebend mit überirdischer Ruhe Linien und Bögen aus flüssigem Gold: Nuria Rial etwa mit der Arie der Bellezza Tu del Ciel ministro eletto aus Händels Oratorium Il trionfo del Tempo e del Disinganno. Andere scheinen – virtuose Koloraturen oder rezeptpflichtig zu Herzen gehende Pianissimo-Kantilenen abliefernd – vor innerlich kochender Energie und äußerer Anspannung schier zu bersten: Sandrine Piau etwa mit Verso già l’alma col sangue aus Händels Aci, Galatea e Polifemo oder Patricia Petibon mit Jean Philippe Rameaus Tristes apprêts, pâles flambeaux aus Castor et Pollux. Letztere stimmliche Meisterschaft mit exaltierter körpersprachlicher Performance verbindend, ohne dass es nervt. Eine Julie Fuchs scheint mindestens zwei Seelen in der Brust haben, so staunenswert überzeugend sind in ihrer Lesart neckische Verspieltheit bei Rameaus Szene Formons les plus brillants concerts aus Platée wie tiefste Tragik in der Arie (aller Arien sozusagen) der Cleopatra Piangerò la sorte mia aus Händels Giulio Cesare in Egitto.
Von jedem und jeder dieser Künstlerinnen und Künstler wurden mit nur einer Nummer Gehalt und Inhalt der jeweiligen kompletten Oper heraufbeschworen. Und wenn man diese nicht so kannte, wie etwa Leonardo Leos Catone in Utica, dichtet man sich die Oper locker dazu, wenn eine Ann Hallenberg mit der Bravour-Arie des Arbace Cervo in bosco das Bild eines so störrischen Jungspunds beschwört, der sich von mangelnder Gegenliebe nicht im Liebesdrang gängeln lässt.
Seit Giulio Cesare in Egitto aus2012 träumt der Händel-Freak vom Duett Son nata a lagrimar mitAnne Sofie von Otter als Cornelia und Philippe Jaroussky als Sesto: Beim Galakonzert sang Jaroussky (mit lächerlichem Ritterbärtchen, das ihm wohl von seinem Auftritt als Ruggiero in Alcina geblieben sein wird) einmal mehr den Sesto, allerdings mit Ann Hallenberg als Cornelia. Dem Wunsch nach mehr Giulio Cesare sind die Verantwortlichen von sich aus nachgekommen, und haben zum Duett noch zwei Arien der Cleopatra programmiert und Patricia Petibon und Julie Fuchs anvertraut, Se pietà di me non senti und eben Piangerò la sorte mia.
Christophe Dumaux, der damals in Egitto den Tolemeo gesungen hat, betörte – obwohl in beiden Fällen mit eher angriffigen Nummern – bei der Gala mit Nicola Antonio Porporas Arie des Lottario (auch so ein Karrierist) So che tiranno io sono aus Carlo il Calvo und mit Arie des Polinesso Dover, giustizia, amor aus Ariodante.
La Bartoli persönlich hat, und dies jeweils ganz bescheiden zu Beginn der beiden monumentalen Werkblöcke, insgesamt nur zwei Nummern beigetragen, also das Hauptfeld mit souveräner Geste den jüngeren und jungen Kolleginnen überlassen. So vieles Bravis, Bravas und Bravos kann man weder ausrufen noch hinschreiben, wie man sie dieser Gesangsgöttinnen- und Götter-Riege zukommen lassen möchte. Parnass und Olymp, Apollo und Orpheus (der Echte) danken auch.