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Spontaner Bühnenzauber mit Offenbach

PFINGSTFESTSPIELE / LA PÉRICHOLE

20/05/18 Jacques Offenbachs Opéra.bouffe „La Périchole“ erlebte im Haus für Mozart unvermutet keine konzertante, sondern eine szenische Aufführung. Das war, dank eines hochkarätigen Ensembles, reinstes Operetten-Vergnügen auf musikalisch höchstem und darstellerisch bezauberndem Niveau.

Von Gottfried Franz Kasparek

Erst drei Tage vor der Aufführung habe das Team dem Vernehmen nach beschlossen, das Stück nicht nur zu singen, sondern auch zu spielen. In einem Teil des „Italiana in Algeri“-Bühnenbilds, mit improvisierten, modernen Kostümen und natürlich ohne Ballett, das in „La Périchole“ ohnehin keine Hauptrolle spielt. Der Dramaturg und Regieassistent Romain Gilbert wird mit dieser Operette demnächst sein Regiedebüt in Bordeaux geben und hat für exzellente Personenführung gesorgt. Die Geschichte vom armen Straßensängerpaar, welches in die Fänge eines „lüsternen Witwers“ und Vizekönigs von Peru gerät, der im Finale die auserwählte Mätresse Périchole und ihren Liebsten Piquillo großzügig in die Freiheit entlässt, karikiert die Opera seria und ist nur in Maßen komisch. Die Musik pendelt zwischen unwiderstehlicher Cancan-Rasanz und schlichter, berührender Liedkunst á la française.

Offenbach spielt mit Sozialkritik und spart nicht mit scharfer Satire feudalistischer Überreste und spanischen Stolzes. Das hat zeitlose Qualität – die Machos sind halt heute zum Beispiel Filmproduzenten. Oder Präsidenten von erstaunlich großen Operettenstaaten.

Wenn der Vorhang über dem hochgehobenen Orchestergraben aufgeht, reibt man sich die Augen. Und schaut ins Programm, ab da nicht doch steht: Inszenierung von Christoph Marthaler. Da ist nämlich ein karger Raum mit Terrasse nach hinten, da ist eine Reihe roter Fauteuils und sonst nicht viel. Da verteilt ein quirliger Typ, der Gouverneur von Lima, Geldscheine an den famosen Chor der Oper von Bordeaux, dass dieser den Herrscher preise. Da plumpst der feiste Vizekönig, der regsame Spielbariton Alexandre Duhamel, inkognito im Dirndl herein und schäkert mit den drei feschen Kusinen, die einen Schnapsladen führen. Zum Gouverneur gesellt sich ein Depardieu-ähnlicher Kammerherr. Die beiden, die feinen Charaktertenöre Éric Huchet und Marc Mauillon, sind lässig modern gekleidet und verblüffen wie alle Mitwirkenden durch ihr ganz natürliches und eben doch nicht durch eine Regie allzu sehr stilisiertes Spieltalent.

Aude Extrémo ist als Iokaste in Strawinskys „Oedipus Rex“ aus den Felsenreitschul-„Dionysien“ des Landestheaters in bester Erinnerung. Sie zeigt als Périchole, dass sie nicht nur eine Tragödin, sondern auch eine Komödiantin mit Tiefgang ist. Herrlich, wie sie sich mit Charme, Erotik und zwischendurch anrührender Wehmut durchs Leben schlägt. Ihre unverwechselbare, in der Tiefe rauchig betörende, in der Höhe wohlig leuchtende Stimme hat die Qualitäten eines Opernsoprans und die einer echten Chansonette. So singt man Operette! Gleiches gilt für den lyrischen, biegsamen, schmeichelnden Tenor Benjamin Bernheim als Piquillo, der mit fantastischer Selbstverständlichkeit vom Sprechen ins Singen wechselt, und zwar bis in strahlende Höhen. Dazu kreiert er eine liebenswerte Figur zwischen Papageno und Bonvivant.

Gesprochen und gesungen wird natürlich französisch, Übertitel sind hilfreich. Da fast ausschließlich „native speaker“ am Werk sind, wirkt das wie eine echte „Comédie“. Der Pariser Bernheim, wohl deutschstämmig, steuert ein paar witzige sprachliche Einlagen bei. So betritt er die Bühne mit „Grüß Gott“ und versucht, sich à la Papageno auf eins-zwei-drei aufzuhängen, ehe ihn die Kammer-Komiker retten und in heilenden Rausch versetzen.

Der Alkohol fließt überhaupt in Strömen, perlt doch der Champagner aus der Partitur. Noch zwei köstliche Tenorbuffi, Rémy Mathieu und François Pardailhé, wanken als die als Scheinehe geplante Verbindung der Périchole mit Piquillo vollziehenden Notare trunken auf die Bühne und verwandeln sich im Finale in weitere Kammerherren der parodistischen Art. Wie auch die kuriosen Kusinen nach der Pause Ehrendamen werden – die Sopranistinnen Olivia Doray, Mélodie Ruvio und Lea Desandre schaffen in allen Rollen drei köstlich halbseidene Damen, ergänzt bei Hofe durch die schöne Mezzostimme der Adriana Bignagni Lesca. Sie alle könnten auch als „Zauberflöte“-Damen reüssieren. Denn Maitre Offenbach hat für Leute komponiert, die mit Belcantotechnik und Singen mit Stütze ebenso vertraut waren wie mit kecken Couplets. Anno 1868 waren tanzende Sängerinnen und singende Schauspieler auf der Bühne – sie alle hatten keine Mikrophone. Darum gehört Operette nicht mit Musicalkräften von heute besetzt.

Die musikalische Seele dieses hinreißenden Abends ist Marc Minkowski am Pult seiner idiomatisch perfekt musizierenden „Musiciens du Louvre“ samt sich grandios einfügenden Gästen aus dem Mozarteumorchester. Täuscht die Erinnerung oder hat Minkowski bei den Operetten-Abenteuern der Mortier-Ära noch viel weniger Raum für lyrische Entfaltung gelassen? Diesmal ließ er die Klarinette schwärmerisch singen und kostete die poesievollen Lieder der Périchole liebevoll aus, freilich ohne den gebührenden Schmiss der tänzerischen Szenen und der Finale zu vernachlässigen. Eine reife Leistung – und es ist eine Freude, wenn solche Maestri Operette dirigieren und sie noch dazu wirklich „können“. Im allgemeinen Schlussjubel wurde auch auf Chorleiter Salvatore Caputo nicht vergessen. Und man verließ das Haus im Bewusstsein, eine in sich stimmige Bühnenproduktion erlebt zu haben.

Bild: Salzburger Festspiele / Marco Borrelli (); www.audeextremo.com (1)

 

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