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Erinnerungen an einen Traum

PFINGSTFESTSPIELE / STUMMFILM NEAPEL

23/05/10 Die Blaue Grotte erbarmungslos ausgeleuchtet. Von blaugrauem Nicht-Licht durchleuchtet bis in jede kleinste geologische Querfaltung: Die begrenzten technischen Möglichkeiten des Stummfilms geben dem touristischen Aspekt geradezu eine Anmutung von Verfremdung. Verstärkt wird der „befremdliche“ Eindruck durch die Untermalung mit zeitgenössischer Musik.

Von Heidemarie Klabacher

Stummfilm - rekonstruiert, in Originalfassung, in südamerikanischen Archiven wundersam aufgefunden - ist derzeit „in“ auf den Festivalprogrammen. Zur Untermalung des Treibens der weißclown-artig geschminkten Heldinnen und Helden werden Partituren von Originalfilmmusiken aus der Wieder-Taufe gehoben oder Kompositionsaufträge vergeben. Sorgen die pixelig-zeitgeistigen Hightechfilme von der Festplatte in den Mega-Kinos für diese Sehnsucht nach „echtem“ Film, auf echtem, zerkratztem, aber dafür physisch greifbarem Zelluloid?

Die Pfingstfestspiele, die sich ja seit einigen Jahren regelmäßig zum Heilig-Geist-Fest gen Neapel verneigen, haben heuer in Zusammenarbeit mit der Cineteca di Bologna und dem Österreichischen Filmmuseum eine Rarität aus der neapolitanischen Stummfilmindustrie in ihr Programm eingestreut. Nichts Exklusives, das Ganze war schon 2007 in Wien zu erleben - aber egal: Der Stummfilm „Napoli è una canzone“ von Eugenio Perego aus 1927 ist ein Liebeslied in fünf Strophen auf den Sehnsuchtsort, seine Menschen und seine Landschaft.

Die Musik dazu hat ausnahmsweise nicht Riccardo Muti nach einem Fisch-Dinner mit Jürgen Flimm in einem Kloster in Neapel ausgegraben (so der gängige Salzburger Pfingstmythos-Mythos). Sondern Burckard Stangl, Dieter Kovacic (alias „dieb 13“), Angelica Castello und Tontechnikerin Cristina Bauer haben mit Gitarren, Vibraphon, Turntabels, Flöten und Elektronik den Soundtrack entwickelt - und am Samstag (22.5.) bei der Filmvorführung spät abends im „Das Kino“ live gespielt.

Befremdlich war das. Zunächst. Das Gebrumm und Gekratze vor allem der Turntables schien mit dem sonnigen Geschehen auf der Leinwand (das Neapolitanische Naturkind Rosella singt und springt, streichelt Katzen, rettet Hunde vor dem Hundefänger, erfreut die alten Großeltern) überhaupt nichts zu tun zu haben. Zunächst - denn alsbald erwies sich die scheinbar falsche Tonspur zum falschen Film in immer zahlreicheren Augenblicken als brillanter Wurf: Die überbordend kindliche Naivität der Heldin (Leda Gys war die letzte große italienische Stummfilmdiva) bekam unter diesem Klang (verstärkt vom psychedelischen Augen-Make-up) etwas geradezu Irr-Pathologisches. Das laute bunte Markttreiben der friedliche Menschenmenge schien vor dieser Klangkulisse auf ganz andere - aus weniger friedlichen Motiven versammelte - Menschenmassen  voraus zu weisen: Das war keine Untermalung, sondern ein Kommentar, quasi auf einer weiteren Sound-, Film- oder Gedankenspur.

Natürlich tauch auch ein männlicher Leinwandheld auf (der Bruder einer amerikanischen Schauspielerin, die sich in Neapel von weiß Gott was erholt). Man lernt sich kennen - und geht zunächst einmal besichtigen: Es folgt ein ziemlich langer touristischer Werbespot (Blaue Grotte, Golf, Vesuv…), der für uns Heutige vor allem wegen des Einblicks in eine scheinbar noch authentische Landschaft interessant ist. Da gibt es auch mal Fetzen (möglicherweise) authentischen Soundtracks zu hören, stimmungsvoll kratzige Neapolitanitá. Und wenn der schöne Fremde die sangesfreudige Naive bittet, ihm die Handhabung der Gitarre zu erklären, erklingen von der Bühne her leer gezupfte Gitarren-Saiten, wie ein verlorener musikwissenschaftlicher Exkurs aus dem Off… Das ist alles gut durchdacht, ziemlich „kopfig“, niemals überschwänglich (bis auf die Schluss-Umarmung der Liebenden, versteht sich) und enorm spannend.

Bild: www.salzburgerfestspiele.at

 

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