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Und jetzt noch: szenisch befreien!

PFINGSTFESTSPIELE / MOZART / BETULIA LIBERATA

23/05/10 Am Beginn des zweiten Aktes bricht das umfängliche theologische Fachsimpeln aus: Da erklärt Ozìa, der Fürst des von Holofernes und seinen Truppen eingekesselten Betulia, dem (noch) den falschen Göttern huldigenden Fürsten-Kollegen Achial die Segnungen des Monotheismus.

Von Reinhard Kriechbaum

altNikolaus Harnoncourt hat einmal so schön gesagt: Wenn man wissen wolle, wie das Rezitativ entstanden ist, brauche man nur einem Mailänder Anwalt beim Plädoyer zuzuhören. Vielleicht hat er dabei ja nicht gerade an dieses Zwiegespräch zwischen Ozìa und Achor aus „Betulia liberata“ gedacht. Das klingt weniger nach feuriger Gerichtsrede sondern eher nach dem Diskurs zweier Professores bei den Salzburger Hochschulwochen. Des Salzburger Erzbischofs Rüffel an die Festspiele wegen ihres Sommer-Themas („Wo Gott und Mensch zusammenstoßen, entsteht Tragödie“) ist dagegen schon beinah Entertainment.

Im übrigen geht „Betulia Liberata“ deshalb gut aus, weil Mensch und Gott eben nicht zusammenstoßen. Die Sache wird zwar mit Gottvertrauen, aber sehr menschlich geregelt: Judith zieht im verführerischen Gewand und schmuckbehängt ins feindliche Lager. Nach Dinner und Besäufnis macht sie Holofernes in dessen Schlafgemach um einen Kopf kürzer. Diese Heldentat enthält uns Mozarts „Betulia liberata“ allerdings vor. Derweil das passiert, vertreiben sich die beiden hohen Herren in der besetzten Stadt eben die Zeit mit der Diskussion um einen oder viele Götter. Da müssen wir durch.

Es ist und bleibt eben eine „Azione sacra“, und die unterscheidet sich eben schon stark von einer „Azione teatrale“. Die Festspiele haben gewusst, warum sie in ihrem „Mozart 22“-Zyklus im Mozartjahr 2006 gerade von „Betulia liberata“ szenisch die Finger ließen.

Nun aber steht das Werk auf der Bühne. Genauer: Der Chor sitzt in Sack und Asche mal da, mal dort herum. Stehen tun die Protagonisten. Die drei gekrümmten Schiebewände, die aussehen wie der Radialschnitt durch ein Schneckenhaus, ergeben immer wieder andere Skulptur-Formen. Einmal hat Regisseur Marco Gandini sogar eine Idee über die staubtrockenen Buchstaben des Librettos hinaus: Nachdem Judith von der Tötung des Holofernes berichtet hat, packen sie doch Gewissensbisse ob des Mordes (solche verschweigt Metastasios Text). Sie streift ihre blutigen Hände an einer der Wände ab, und das gibt eine dekorative Spur.

altDas Orchestra Giovanile Luigi Cherubini ist, das wissen wir aus den vergangenen Jahren, Riccardo Muti ein Herzensanliegen. Das hört man. Es ist ja viel Schönes in der Partitur des vierzehnjährigen Mozart, und eben dies faltet Muti in gar nicht so rasanten Tempi und nicht nur oberflächlich auf. Eine runde Orchesterleistung, sehr homogen in den Streichern, äußerst sauber in den Bläsern. Gegen Ende – Betulia ist schon befreit – gehen alle Nicht-Handelnden in sich und ein jeder legt eine kleine lyrische Beichte ablegt, indem er oder sie von den eigentlich lässlichen Glaubens-Sünden berichtet. Da wird die Angelegenheit dann schon recht mühsam. Dass in den Rezitativen dazwischen generell nichts weitergeht, liegt nicht an der Komposition, sondern daran, dass Muti wenig unternimmt. Obwohl vorwiegend junge Muttersprachler singen, wirken die Rezitative wie buchstabiert.

Sonst aber sehr sympathisch, diese sängerische Youngster-Truppe! Maria Grazia Schiavo, Nahuel Di Pierro, Barbara Bargnesi, Arianna Venditelli - sie alle lösen ihre größeren und kleinere Arien-Aufgaben sehr ordentlich, werden von Muti auf Händen getragen. Frühes Festspiel-Vertrauen wird ihnen entgegen gebracht, und sie lösen es gut ein.

Die beiden Hauptprotagonisten, Alisa Kolosova und Michael Spyres, kommen vom Young Singer's Project. Ein guter Griff in beiden Fällen. Michael Spyres (Ozìa) ist ein höhensicherer und bemerkenswert risikofreudiger Sänger. Seine Stimme ist gar nicht so ausgeglichen in den Lagen, aber genau daraus schlägt er, sehr intelligent gestaltend, Kapital. Die Partie ist mit Koloraturen vollgepfropft, Spyres meistert sie souverän. Auch die Mezzosopranistin Alisa Kolosova als Giuditta wollte ich gerne wieder hören - vielleicht sogar in dieser Rolle, aber emotional von einem rhetorisch interessierteren Dirigenten entschiedener herausgefordert. Das Accompagnato-Rezitativ, in dem sie die Begebenheiten im Lager des Holofernes berichtet, war einprägsam durchgeformt.

Was man in „Betulia liberata“ keinesfalls übersehen darf: Der Chor hat eine wichtige Rolle (zum Beispiel in schönen Szenen im Dialog mit dem Tenor). Walter Zeh hat den Philharmonia Chor Wien einstudiert, und den sollte man sich als mögliche Opernchor-Blutauffrischung für die Festspiele vormerken.

Zweite Aufführung: Heute, Pfingstsonntag (23.5.), 19.30 Uhr, Großes Festspielhaus. - www.salzburgerfestspiele.at
Bilder: Salzburger Festspiele / Silvia Lelli

 

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