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Die Liebenden und der Löwe

PFINGSTFESTSPIELE / PIRAMO E TISBE

23/05/10 Wie klingt der Opern-Brüller eines Löwen, ausgedacht 1770 von einem in ganz Europa hochgerühmten Altmeister des Genres? Damals steuerte Mozart auf seinen 14. Geburtstag zu - und vom Barock, dem wir Johann Adolph Hasse gemeinhin zuordnen, war nicht mehr viel zu spüren.

Von Reinhard Kriechbaum

Spannend, wenn die vermeintliche chronologische Ordnung der Musikgeschichte so in Unordnung gerät: Johann Adolph Hasse war ein Siebziger, der „klassische“ Musikstil längst entwickelt, Glucks „Orfeo ed Euridice“ war auch schon acht Jahre alt. Der alte Hasse, ein alter Hase der Opernkunst, wusste selbst nur zu gut, dass ihm die Stunde eigentlich längst geschlagen hatte. Da half nur Haken schlagen auf der Flucht nach vorne. Seinen Stil hat er zwar grundsätzlich nicht mehr umgekrempelt, aber so manche Gedanken der Zeit aufgenommen und für sich fruchtbar gemacht. Grenzen zwischen Rezitativen und Arien sind gelegentlich aufgelöst zugunsten längerer durchkomponierter Episoden. Die barocke Musikrhetorik, der Gestus des galanten Zeitalters, aber auch der musikalische Sturm und Drang sind zusammengeflossen in dieser Kammeroper für nur drei Protagonisten. Sängerkoloraturen sind eingeschränkt zugunsten glaubwürdigen Ausdrucks. Der Emotionspegel liegt enorm hoch.

„Piramo e Tisbe“ lohnt allemal, gehört zu werden, auch wenn es ein Zwitterwesen in den Zeitläuften ist. Dieses Werk in einer packenden Wiedergaben mit „Europa galante“ unter Fabio Biondi vorgestellt zu haben (am Samstag, 22.5., im Großen Saal des Mozarteums), gereicht den Pfingstfestspielen wesentlich mehr zur Ehre als der anämische szenische Versuch mit Mozarts „Betulia liberata“.

Blutvolle Musik also, der Fabio Biondi mit einiger Vehemenz zu Leibe rückt. Tisbe beklagt den vermeintlichen Verlust des Liebhabers (die beiden Clans sind hoffnungslos verfeindet), aber da ist Piramo auch schon da: Er hat einen geheimen Gang zu ihren Gemächern angelegt. Nachdem der Vater unwirsch reagiert, wird die Flucht vorbereitet. Man will sich im Wald treffen – die Geschichte ist ja bekannt, vielleicht von Ovid, aber jedenfalls aus dem Sommernachtstraum. Tisbe läuft vor dem Löwen davon, Piramo glaubt sie zerfleischt und ersticht sich aus Verzweiflung. Aber auch mit Dolch im Leib singt er noch ein berührendes Duett mit der wieder aufgetauchten und angesichts des sterbenden Freundes ebenfalls zum Selbstmord entschlossenen Geliebten. Duette sind die Stärke der Partitur, und ebenso instinktiv hat Johann Adolph Hasse die Stellen herausgefunden, in denen orchesterbegleitete Rezitativen den Ausdruck verdichten helfen.

„Europa Galante“ ist ein beeindruckend kraftvolles Orchester. Fabio Biondi, der von der Geige auch am Dirigentenpult nicht lässt, setzt als emotionaler Einpeitscher nicht wenig Energie frei. Das war, im ersten Teil vor allem, manchmal des Guten schon zu viel. Irgendwie ist Biondi das Sprechen der Instrumente wichtiger als das Begleiten der Singstimmen. In dem Fall wog das aber nicht so schwer, weil souveräne und auch nervenstarke Sänger aufgeboten waren. Vivica Genaux (Piramo) war als indisponiert entschuldigt, aber diese exzellente Stilistin ließ dann doch keine Wünsche offen. Eben so wenig wie Désirée Rancatore (Tisbe). Sie versteht es, spitz und prägnant zu artikulieren und im selben Atemzug Melismen ungemein weich und rund fließen zu lassen. Überraschend: Der „Bösewicht“ (Tisbes Vater) ist Tenor, nicht grimmiger Bass. Emanuele D'Aguanno hat in dieser Rolle jede Übertreibung vermieden.

„Piramo e Tisbe“ ist gewiss keine Oper, in der einem die Szene abgeht. Die Musik hat genug Imaginationskraft. Und wie brüllt nun der Löwe? Naturhörner, erregt tremolierende Geigen – das ist gar nicht so furchtbar üppig koloriert, eben weil es dem Komponisten viel mehr um die glaubwürdige Befindlichkeit der Protagonisten ging.

Bild: Salzburger Festspiele

 

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