Der Liebe Kampf und Krampf
PFINGSTFESTSPIELE / ARIENMATINEE / CENCIC
06/06/17 Der Augenblick, „in dem die Liebe in den Wahnsinn kippt“, war am Pfingstmontag (5.6.) Gegenstand der fulminanten, rasenden, traumverlorenen Arienmatinee des Countertenors Max Emanuel Cencic und des Ensembles Armonia Atenea unter der Leitung von George Petrou.
Von Heidemarie Klabacher
„Denn schließlich ist die Liebe nichts als Wahnsinn, nach allgemeinem Urteil der Gelehrten“, heißt es in dem Epos „Orlando Furioso“, aus dem auch der Stoff des diesjährigen „Pfingstoper“ – Georg Friedrich Händels „Ariodante“ – stammt. Der Countertenor Max Emanuel Cencic hat für seine Arienmatinee lauter Vertonungen zusammengestellt, die das Leben und Lieben, Leiden und Wüten des „Rasenden Rolands“ selber zum Thema haben.
Max Emanuel Cencic hat sein Programm mit der Umsicht des überragenden Regisseurs und Dramaturgen aufgebaut. Er hat den Augenblicken hoffnungstrügerischer Sehnsucht und scheinbar greifbaren Liebensglücks ebenso viel, ja beinah mehr, Raum gegeben, als der zunehmenden Verzweiflung und dem rasenden Wahn.
Sprich: Er hat erst zum Finale zwei ausgesprochene „Wahnsinnsarien“ gesungen: „Cielo! se tu il consenti“ , die geradezu zircensische Ansprüche an die Gesangstechnik stellende Arie des Orlando aus Georg Friedrich Händels Oper „Orlando“ und Antonio Vivaldis „Nel profondo cieco mondo“ aus dessen „Orlando furioso“: ebenfalls eine Arie des nun tatsächlich rasenden Titelhelden, ein einziger Energieausbruch, ein unaufhaltsamer Sturz in „eine unergründliche, tiefe, blinde Wut“.
Mit der Klugheit des wahren Virtuosen, der mehr kann, als rasende Koloraturen abfeuern, wiegte Max Emanuel Cencic sein Publikum einen Gutteil des überlangen Konzerts über in samtweichen Tönen und traumverlorenen Melodien. Wie etwa Vivaldis „Sol da te, mio dolce amore“ oder den zwei Arien des Orlando aus Nicola Porporas „Angelica e Medoro“: „Ombre amene“, in welcher freilich die unabwendbare Tragödie schon anklingt, oder die Arie „Vanne, felice rio“, die mit geradezu kindlichem Stolz auftrumpft. Das Orchester klang da wie ein einziges Schlagwerk-Ensemble – während der Mittelteil realitätsverlorener Hoffnung gilt.
Eingebettet waren die Arien in Instrumentalstücke aus der Feder Vivaldis: Im eröffnenden Concerto a-Moll für zwei Violinen und Orchester RV 522 brillierten der Konzertmeister und die Stimmführerin der zweiten Geigen mit Virtuosität und mitreißendem Animo im Dialog miteinander und dem Orchester. Ihr Namen wurden leider unterschlagen. Und die Blumen für die Dame scheint dann auch noch der Dirigent (der sie natürlich ebenfalls verdient hat) bekommen zu haben.
Ein imaginäres Bukett sei überreicht, auch für die wundersamen Soli im Adagio aus der Sonate d-Moll für zwei Violinen und Basso continuo RV 63 „La follia“: Da waren Wahn und Zerrissenheit des Sängers inzwischen schon fortgeschritten und die differenziert gespielten virtuosen Variationen wirkten wie ein Kommentar aus dem Lehrbuch des Psychiaters zu manisch-depressiven Schüben.
Cencics gut gemeinte, auch elegant gelesene, kulturhistorisch- literarischen Einlassungen wären verzichtbar gewesen. Vor dem Concerto e-Moll für Fagott, Streicher und Basso continuo RV 484 war etwa noch von Kreuzzug und Heldentaten die Rede. Doch der weiche Sound des „alten“ Fagotts des Solisten Alexandros Oikonomou, weniger durchschlagskräftig als seine modernen Nachkommen, und die vielen absteigenden, manchmal passacaglica-artig strengen Motive, haben die aufglühenden Funken der Kampfeslust beinah ironisch unterlaufen. Klangrede vom überzeugendsten hatte an diesem Pfingstmontag das Wort: Armonia Atenea unter der Leitung von George Petrou spielten raumgreifend und raumfüllend im piano, dabei niemals raumsprengend im forte, phrasierten mitreißend, pulsierend, geschmeidig in der Kantilene, wie in der Attacke. Noch weitere Extra-Blumen-Buketts an die Continuogruppe und den Lautenisten!