Tütü siegt über den Tartan
PFINGSTFESTSPIELE / LA SYLPHIDE
04/06/17 Merke: Wenn bei der Hochzeitsfeier eine Hexe hereinschneit – und sei sie noch so eine schiache alte Vettel – dann sei höflich zu ihr. Sonst geht das Projekt Lebensplanung zu zweit schlecht aus. Auch eine zweite Lehre gilt es zu ziehen aus dem Ballett „La Sylphide“, und noch eine dritte.
Von Reinhard Kriechbaum
Der zweite Ratschlag: Umschwirrt dich am Hochzeitsmorgen eine schmetterlingsartige Traumfrau: unbedingt ruhig sitzen bleiben im Ohrensessel und die Augen geschlossen halten, auch wenn der Testosteronspiegel steigt.
Gegen beide Regeln verstößt der schottische Hochzeitskandidat James, wobei man zugeben muss: Zu all die jungen Damen in ihren Tartan-Röcken ist die spitzentanzende Sylphide im federleichten Tütü mit ihren eindeutigen Avancen schon eine bedenkenswerte Alternative. Auch wenn es einen Menschen stutzig machen sollte, dass der blütenweiße Luftgeist sich flugs durch den Kamin davonmacht, ohne schwarz zu werden. Aber welcher Mann hat schon je Liebeszauber ernsthaft hinterfragt?
Die Pfingstfestspiele, die sich heuer romantischen Geschichten am Schauplatz Schottland (einem Sehnsuchtsort im frühen 19. Jahrhundert) verschreiben, haben also das Ballett des Mariinski-Theaters mit „La Sylphide“ eingeladen. Das ist eines jener klassischen Ballette, die mangels Relevanz schon im 20. Jahrhundert völlig aus dem Bewusstsein gerückt sind und im 21. Säkulum noch viel hoffnungslos-gestriger erscheinen. Eine missglückte Fee-Mensch-Liebesgeschichte im Zeitalter der Ich-AG!
Keine Sorge, dass sich ein Szeniker kritisch-aktualisierend über die Geschichte hermachte. Man bewegt sich in einer absolut ironie- und geistfreien Zone. Alles ist ausschließlich schön und altmodisch. Das Ballett des Mariinski-Theaters hat „La Sylphide“ in der Version von August Bournonville drauf. Die wurde 1836 kreiert, also auch schon vor einer guten Weile. So rückten die Gäste aus St. Petersburg also mit ihren historischen Prospekten an, in dem man den Wald vor lauter Bäumen nicht sieht.
„La Sylphide“ ist sparsam, kommt mit zwei Solotänzern aus (die bizarre Hexe ist kein Kunststück). Das Corps de Ballet muss den schottischen Lokalkolorit beitragen und im zweiten Akt eine spitzentanzende Feentruppe (hier mit immerhin 18 Tänzerinnen auf Spitze) stellen. Das ist choreographisch pflegeleicht.
Die Russen haben das im Schlaf drauf, der Dirigent Valery Ovsyanikov vielleicht auch. Das Mozarteumorchester wirkte aber überrumpelt. Jedenfalls hat es schon seit Jahren Musik, die ihm zwangsläufig wie eine Fremdsprache anmutet, nicht so arg buchstabiert. Diese Partitur schrieb ein gewisser Herman Severin Løvenskiold (1815-1870). Aus dem Programmheft erfahren wir, dass er im zweiten Akt „auch einige Anleihen bei anderen Komponisten“ machte, „etwa bei dem österreichischen Geiger Josef Mayseder“. Der komponierende dänische Baron hat auf höchster Ebene geklaut.
Olesya Novikova war „La Sylphide“. Ihre Spitze ist spitze, keine Frage. Philipp Stepin war James, dem erst der Kopf verdreht wird, der sich aber mit dem Flügelwesen doch keine ernsthafte Braut einhandelt. Da kann er mit noch so perfekten Entrechats der Schwerkraft ein Schnippchen schlagen wollen: Mit dem Luftwesen, das Dank altväterlicher Bühnenmechanik gleich mal siebzig Zentimeter hoch abhebt, hält er nicht mit. Drum wird er schließlich anfällig für die Einflüsterungen der Hexe (Igor Kolb), die ihm einen magisch impägnierten Schal zur Erdung der Sylphide überreicht. Damit ist deren trauriges Ende eingeläutet.
Die dritte Lehre aus diesem Ballettabend: Man belässt solche Dinge doch lieber am angestammten Platz. Touristen in St. Petersburg sind abends, müde von der Stadtbesichtigung, ein immer dankbares Publikum. Die Salzburger Pfingstgäste waren eh auch artige Beifallspender.