Ein Todesengel und kein echtes Drama
OSTERFESTSPIELE / OTELLO
20/03/16 Ein Mittelding zwischen Tisch oder Laufsteg beinah über die gesamte leere Bühne, darauf Unmengen Kerzen. Der schwarze Todesengel steckt nach rätselhafter Choreographie die eine oder andere um: das edle Ambiente für ein Begräbnis Erster Klasse. Der rechte Ort aber für einen handfesten Ehekrach?
Von Reinhard Kriechbaum
Wir sind im dritten Akt, Otello ist hoch infiziert vom Eifersuchts-Virus und fordert von Desdemona das verhängnisvolle Tuch ein. Etwas verloren stehen die beiden da, immer maximal weit voneinander entfernt (und das ist sehr fern auf der Bühne im Großen Festspielhaus!). Da kann sich kein ernsthaftes Zerwürfnis heraus kristallisieren, sondern nur das Nebeneinander zweier Monologe. Die größte Emotion, die Regisseur Vincent Boussard den beiden Protagonisten zugesteht: Manchmal dürfen sie sich grämend auf den Tisch/Laufsteg werfen oder gar raufsteigen und zwischen den Kerzen herumgehen. Es sind eh Elektroflammen. Desdemonas edles Kleid (der Designer Christian Lacroix ist für die Gewänder zuständig) fängt also gewiss kein Feuer.
Mit dieser Szene ist die generelle Stimmung des „Otello“, der diesjährigen Produktion der Osterfestspiele, eigentlich hinlänglich eingefangen: unterkühlt, distanziert, weit weg von einer packend erzählten Geschichte. Der dazu erfundene Todesengel (die Tänzerin Sofia Pintzou) mit schwarzen Flügeln trägt oft ein Feuer in Händen. Der Engel wird gleich am Beginn eingeführt. Ja, es wird ein böses Ende nehmen mit Desdemona und Otello. Das hätten wir eh gewusst. Eigentlich will uns der Regisseur nur erzählen, dass Otello und die blonde Venezianerin Desdemona sowieso nicht zusammen passen, ein Ende mit Schrecken mithin absehbar ist. Vielleicht deshalb pfeift Vincent Boussard auf Personenführung. Nimmt eh alles seinen Lauf.
Eine reichlich belanglose, fatalistische Sicht auf das Musikdrama von Verdi. Vielleicht wäre es einer Diskussion würdig, wenn musikalisch genau das Gegenteil passierte, wenn wir also davon so richtig gepackt würden. Keine Spur. Da ist in der Titelpartie José Cura, der zwar ganz viel Lyrik entwickelt (die erste, von den Celli so intensiv kolorierte Szene mit Desdemona ist wirklich einprägsam), dem man aber den rasenden Eifersüchtling partout nicht abnimmt. Da fehlt einfach alle Intensität und Gefährlichkeit.
Dorothea Röschmann ist als Desdemona bestenfalls untadelig, in der Emotion wohl nicht nur vom szenischen Ambiente und der Personenregie ein- oder gar ausgebremst. Ihr charakteristisches Flackern in der Stimme hat sie in der Szene mit den Ministrantenkindern (im zweiten Akt) gar nicht, im vierten Akt, wo sie auf viel Innigkeit setzt, aber gut unter Kontrolle. Doch zu dem Zeitpunkt ist im Orchestergraben alle Energie perdü. Christian Thielemann hilft der Dramatik gar nicht mehr auf die Sprünge, sondern spürt ausschließlich nur mehr Verdis offensichtlichen Neugier nach den damals aktuellen Errungenschaften der Impressionisten nach. Desdemonsas Lied von der Weide und vor allem das Gebet gehen vorüber, bewegen nicht ernstlich.
Sängerisch markant ist in dieser Aufführung eigentlich nur eine Episode. „Ich bin ruchlos, weil ich Mensch bin“, singt Iago, und Carlos Álvarez' Outing als Erzbösewicht geht wirklich unter die Haut. Da blitzt ein einziges Mal auf, wofür ein „Otello“ als Ganzes stehen müsste: für packendes Musiktheater. An Carlos Álvarez entzündet sich auch Benjamin Bernheim, ein erstklassiger Cassio quasi unter Dauer-Hochspannung.
Thielemann als Verdi-Exeget intererssiert vor allem die für diese Oper mit vielen neuen Farben bestückte Orchesterpalette. Da wird gemalt und gepinselt, und die Staatskapelle Dresden setzt das akkurat und tonschön, mit viel Wärme und vor allem mit Genauigkeit und traumhafter Verlässlichkeit um. Von einer "Sternstunde der Kontrabässe" sprach Thielemann im Pressegespräch tags darauf - das stimmt natürlich (er meinte die exponierte Passage im vierten Akt). Aber solche Dinge sind eben nur eine Hälfte des „Otello“. Es sollte schon auch dramatisch was weitergehen.
Die Chorszenen im ersten Akt sind in ihrem tänzerischen Design ein starker Gegenpart zu der hier noch unabgegriffen wirkenden visuellen Komponente. Der bewegte Tüllvorhang, die Licht- und Videoeffekte darauf – das lässt uns den Sturm so recht fühlen. Isabel Robson lässt es in ihrer Videoarbeit gerne qualmen. Der Spiegel-Guckkastenraum, der uns Otello und Desdemona bei ihrer Begegnung im ersten Akt in vielen Reflexionen zeigt, wäre vielleicht weiter zu führen. In Folge werden aber die Spiegel, die Neonlicht-Effekte, vor allem auch die Projektionen Selbstzweck. Es sieht alles nach ziemlich gutem, Raum füllenden Kunsthandwerk aus. Der opulente Leerlauf ist, so scheint's, beim Premierenpublikum mehrheitlich als solcher angekommen. Hörbarer Unmut nicht nur gegen die Szeniker, sondern auch gegen José Cura und Dorothea Röschmann. Thielemann bejubelt man, auch wenn er's konkret bei Verdi nicht bringt.