In der obersten Himmelssphäre
OSTERFESTSPIELE / VERDI-REQUIEM
01/04/15 Wie unglaublich, schier überirdisch schön man das Verdi-Requiem singen kann! Das handverlesene Solistenquartett machte die Aufführung unter Christian Thielemann am Dienstag (31.3.) zu einem singulären Erlebnis.
Von Reinhard Kriechbaum
Wie soll man die feinen hohen Töne der Liudmyla Monastyrska beschreiben? Sie wirken, als ob sie an seidenen Fäden quasi vom Plafond baumeln, leicht bewegt im Luftstrom, ohne alle Erdschwere. Man käme überhaupt nicht auf die Idee, dass auch im Halse dieser Ukrainerin bloß zwei Stimmbänder aneinander schlagen. Eigentlich ist Liudmyla Monastyrska ein dramatischer Sopran, aber an diesem Abend durfte sie ihre lyrischen Qualitäten hervorkehren. Auch das „Libera me Domine“ orgelt sie nicht, sondern trägt es wie eine verhaltene Bitte vor. Zuletzt fast nur intensiv flüsternd.
Geradezu sensationell, wie die Stimme der Monastyrska und jene von Anita Rachvelishvili verschmolzen sind. Das ist fast ein Timbre. Die Georgierin, ein Mezzosopran, führt ihre Stimme mit exzeptioneller Klarheit und auffallend vibrato-arm. Auch nicht zu verachten, was sie an leicht ansprechender Höhe anzubieten hat. Da ward im Duett nicht nur das Agnus Dei zur lupenreinen Schmeichelei, zu dem das Corps der Flöten (und dann der Oboen) das Seine beigetragen hat. Es war einer jener (vielen) Momente dieser Aufführung, in der Christian Thielemann ein exemplarisch ausgehorchtes Miteinander von Singen und Spielen verwirklicht hat.
Doch weiter mit den Solisten: Das Quartett fußte auf der mit der nötigen Bass-Schwärze ausgestatteten, aber stets geschmeidigen und klar fokussierten Stimme von Ildar Abdrazakov. Im Einzelnen war es verblüffend, wie wenig Volumen es braucht, um dem Solisten-Tutti ein tragfähiges Fundament zu geben. Jonas Kaufmann, theoretisch ein Fremdkörper in dieser osteuropäischen Gruppe: Er kann seinen Tenor strahlen lassen und sich zugleich maximal zurücknehmen, er war an dem Abend hoch präsent, aber nicht der Gesangsstar.
Es müssen nicht Muttersprachler sein, auch nicht im Fall des Requiems von Giuseppe Verdi. Gerade diesem Werk haftet (hierzulande, wohlgemerkt!) ja der Geruch an, eigentlich eine verkappte Oper zu sein. Eine ur-italienische, versteht sich. Christian Thielemann lässt sich von solchen Vorurteilen in keiner Weise beeindrucken und schon gar nicht irre machen. Aus Verdis Partitur liest er, mit im Einzelnen durchaus überraschenden Ergebnissen, ganz viel vokal/instrumentale Kammermusik heraus. Es sangen also die Holzbläser der Sächsischen Staatskapelle Dresden, und die Gesangssolisten haben, ohne ihre großen Stimmen zu verleugnen, instrumental-wenig interagiert mit den Kolleginnen und Kollegen im Orchester.
Kaum einmal setzte Thielemann wirklich auf ein wuchtiges Forte. Reich differenziert dafür die mittleren Lautstärkewerte, die stets ein durchhörbares Klima sicherten. Dem von Peter Dijkstra einstudierten Chor des Bayerischen Rundfunks muss man wohl nicht eigens sagen, wann er sich zurücknehmen muss: Genaue Diktion hat ihn wieder einmal ausgezeichnet, selbst in den Dies-irae-Entladungen hat man eben deswegen so manche Instrumentalstimme plastisch heraushören können.
Geklatsch wurde noch, nachdem sich Chor und Orchester schon vom Podium zurückgezogen hatten. Man hätte sich – würde nicht ein Handy gerade in eine der leisesten Stellen des „Dies irae“ hineingebimmelt haben – tatsächlich im siebenten Himmel fühlen können. Aber wahrscheinlich ist es heutzutage ja so, dass auch die obersten Himmelssphären nicht mehr mobiltelefonfreie Zonen sind…