Kollektivschuld gibt es nicht
OSTERFESTSPIELE / PROGRAMM 2025
06/03/24 Das Mozarteumorchester „debütiert“ 2025 bei den Osterfestspielen. Den Propheten in Mendelssohn Elias singt Andrè Schuen. Herzstück ist die Neuinszenierung von Modest Mussorgskis Choroper Chowanschtschina in der Regie des britischen Theatermachers Simon McBurney unter der Leitung von Esa-Pekka Salonen. Russische und ukrainische Künstlerinnen und Künstler werden kommen.
Von Heidemarie Klabacher
Es klingt, wie aus den aktuellen Nachrichten: „Chowanschtschina ist jenes monumentale Volksdrama des russischen Komponisten Modest Mussorgski, welches ein erschütternd aktuelles Sittenbild der russischen Politik- und Kirchen-Elite zeichnet, die sich brutal auf Kosten der Bevölkerung bekämpfen. Es zeigt chaotische Zustände, Wirren und Verwüstung“. Das Libretto schrieb ebenfalls Mussorgski. Nach zehn Jahren Arbeit starb er 1881, hinterlassen hat er nur den Klavierauszug und einige Fragmente der Orchesterpartitur. Der Schluss fehlt fast vollständig. Mussorgsky habe „nach einer Form gesucht, die gegenwärtig noch nicht existierte“, sagte in einer Zuspielung zur Programm-Pressekonferenz der Osterfestspiele, der Regisseur Simon McBurney. Der Rhythmus sei nahe an der Sprache, das „epische Narativ“ des Librettos gehe zurück auf Tolstoi oder Dostojewski. Jede Inszenierung des Fragments sei immer auch „eine Neu-Komposition“. Die erste Aufführungsfassung der gesamten Oper erstellte Nikolai Rimski-Korsakow. 1913 schrieb Igor Strawinsky einen neuen Schluss. 1958 schuf Dmitri Schostakowitsch eine eigene Orchestrierung auf Basis von Mussorgskis Skizzen. „Rimski Korsakov und Schostakowitsch haben die Oper fertig gestellt. Aber sie haben dem Werk auch ihren Willen aufgedrückt, ihre Vorstellung davon, wie die Oper enden sollte“, sagte der Regisseur. „Wir suchen danach, was Mussorgski gemeint haben könne.“ Die Neuinseznierung sei also „auch archäologische Spurensuche“.
Für Chowanschtschina, „eine Choroper mit großen Solistischen Herausforderungen“ habe er Sängerinnen und Sänger aus Österreich und Deutschland und weiteren Ländern Europas, aber auch aus der Ukraine und Russland engagiert, berichtete Nikolaus Bachler. „Künstlerische Verbindung“ zwischen Menschen könne in diesem Werk zum Leben erwachen. Den Chor stellt der Philharmonische Chor Bratislava mit hundert Sängerinnen und Sänger.
Intendant Nikolaus Bachler präsentierte heute Mittwoch (6.3.) das Programm der Osterfestspiele Salzburg 2025 zum Motto Wunden und Wunder. Man wolle auf die aktuelle Weltlage reagieren, es gehe um die Wunden, „die unserer Gesellschaft und unserem Lebensraum“ aktuell zugefügt „ob in der Ukraine, in Isreal oder in den von Populisten geführten Staaten Europas und der Welt“, so Intendant Nikolaus Bachler. Unter „Wunder“ verstehe er Hoffnung auf eine bessere Zukunft, eine positive Haltung „trotz allem“ und Glauben an die Humanität.
Esa-Pekka Salonen wird, am Pult des Finnish Radio Symphony Orchestra, mit Chowanschtschina erstmals seit sechs Jahren wieder eine szenische Oper dirigieren. Man werde sich, „besonders im Finale so nah wie möglich an das Manuskript und die Skizzen von Musorgski halten“, so Esa-Pekka Salonen ebenfalls in einer Live-Zuspielung. Der finnische Dirigent und Komponist leitet bei den Osterfestspielen 2025 auch zwei Konzerte. Drei weitere Konzerte mit dem Mahler Chamber Orchestra und dem Mozarteumorchester leiten Gianandrea Noseda, Maxim Emelyanychev und Tabita Berglund.
Im ersten Orchesterkonzert unter der Leitung von Esa-Pekka Salonen erklingen die zweite Symphonie von Jean Sibelius und Salonens Cello Concerto. Das Stück wurde für Yo-Yo Ma komponiert, der es 2017 mit dem Chicago Symphony Orchestra zur Uraufführung brachte. Solistin ist die junge finnische Cellistin Senja Rummukainen. Im zweiten Orchesterkonzert gibt es gleich zwei Debüts: Die junge norwegische Dirigentin Tabita Berglund gibt ihr Salzburg-Debüt am Pult des Mozarteumorchesters, das seinerseits zum ersten Mal von den Osterfestspielen eingeladen wurde. Auf dem Programm stehen Arien und Duette aus Macbeth, Andrea Chénier oder Rusalka. Es singen Sondra Radvanovsky, SeokJong Baek und Simon Keenlyside. Ab Oktober 2024 wird Berglund Principal Guest Conductor beim Detroit Symphony Orchestra.
Das Mahler Chamber Orchestra hat zwei Termine, ein Orchester- und ein Chorkonzert. Das Orchesterkonzert dirigiert Gianandrea Noseda. Auf dem Programm stehen Edvard Griegs Peer Gynt-Suite, Tschaikowskis Violinkonzert mit dem Solisten Augustin Hadelich sowie die Neunte Schostakowitsch. Noseda ist aktuell Generalmusikdirektor am Opernhaus Zürich und Chefdirigent des National Symphony Orchestra in Washington.
Im Chorkonzert II spielt das Mahler Chamber Orchestra Felix Mendelssohn Bartholdys Oratorium Elias unter der Leitung des 1988 im russischen Dserschinsk geborenen Maxim Emelyanychev. Dieser debütierte zuletzt mit dem Amsterdamer Royal Concertgebouw Orchestra, den Berliner Philharmonikern oder den Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks. Die Titelpartie des Propheten wird Andrè Schuen singen. Im Chorkonzert I leitet Esa-Pekka Salonen Gustav die Zweite Mahler, die Auferstehungssymphonie. „Man begibt sich auf eine einzigartige musikalische Reise“, so der Dirigent. „Diese beginnt an einem dunklen Ort und führt über zahlreiche Irrwege bis zum Finale, in dem Mahler uns gewissermaßen den Schlüssel zum Verständnis dafür gibt, warum wir auf diesem Planeten sind.“ Zuletzt dirigierte Salonen dieses Werk in der szenischen Umsetzung von Romeo Castellucci 2022 beim Festival d’Aix-en-Provence. Finnischer Tango sowie Tanz&Elektro stehen ebenfalls auf dem Programm der Osterfestspiele 2025.
osterfestspiele.at
Bilder: Stills aus dem gestreamten Pressegespräch / dpk-klaba