Wagner, Mathilde und ein Hauch von Revolution
OSTERFESTSPIELE / TRÄUME
07/04/23 Der israelische, in Frankreich lebende Choreograph Emanuel Gat hat Wagners Streitschrift Die Kunst und die Revolution mit dessen Wesendonck-Liedern zusammen gebracht. Träume – nach dem letzten der fünf Lieder – heißt die Tanztheaterproduktion, die am Gründonnerstag in der Salzburger Felsenreitschule uraufgeführt wurde.
Von Reinhard Kriechbaum
Die Kunst habe „ihre Seele und ihren Körper ... an den Kommerz“ verkauft, schreibt Wagner 1848/49. Gilt immer noch für so manches und so manchen. „Es gibt sogar viele unserer populärsten Künstler, die nicht im Geringsten verbergen, dass sie keinen anderen Ehrgeiz haben, als dieses seichte Publikum zu befriedigen. Sie sind weise in ihrer Generation; denn wenn der Fürst ein schweres Abendessen, der Bankier eine ermüdende Finanzoperation, der Arbeiter einen müden Arbeitstag hinter sich haben, gehen sie ins Theater: sie verlangen nach Ruhe, Ablenkung und Vergnügen, und sind nicht in der Stimmung für erneute Anstrengung und neuen Kraftaufwand.“ Auch nichts Neues unter der Sonne. Die mit dem „schweren Abendessen“ sind heutzutage freilich keine Fürsten mehr...
Was also haben dieser Essay und die Wesendonck-Lieder gemein? Hätte Wagner sich 1848 nicht so weit aus dem Fenster gelehnt, hätte er nicht aus Dresden zu fliehen brauchen, nicht Exil nehmen im Gartenhaus des Zürcher Bankiers Wesendonck und seiner dichtenden Gattin. Des Komponisten G'spusi mit ihr hat fürs Genre Lied (und für den Tristan, dessen Tonsprache hier vor-entwickelt wurde) immerhin etwas gebracht. Die Kunst und die Revolution hat Wagner übrigens erst in Zürich, also in sicherer Distanz zur deutschen Heimat geschrieben.
Nach konkreten Anspielungen an die Verbindung zwischen Mathilde Wesendonck und Wagner, wie diese nun auch wirklich ausgesehen haben mag, sucht man in dem Tanztheater Träume von Emanuel Gat vergebens. Es ist kein Handlungsballett. Da ist schon der eine oder andere kurze Pas de deux, aber viel öfter sind die vierzehn Tänzerinnen und Tänzer in gruppendynamische Prozesse verwickelt. Es sind Episoden in einer ausdrucksstarken, strengen, gelegentlich fast zeremoniell anmutenden Bewegungssprache. Immer wieder gleiche, zumindest sehr ähnliche Gesten gewinnen in der Kleingruppe Eigenwert. Immer lösen sich drei oder vier Leute aus der größeren Schar, zeigen oder erkämpfen Individualität, um bald wieder aufzugehen im Kollektiv, aus dem dann wieder andere hervortreten. Raumgreifend allemal, wie es die Felsenreitschule eben verlangt.
Zwei rote Sofas sind die einzigen Ausstattungsstücke, dazu gibt es eine metallene Stiege rauf ins zweite Arkadengeschoß. Nicht immer tönt Musik. Zumal am Beginn gibt es längere gelesene Passagen, wobei zwischen Wagners politischer Plakativität und gedichteten Romantik-Schwulst der Mathilde Wesendonck Spannungen und Brüche entstehen und umgesetzt werden. Die Musik gewinnt dann an Gewicht, vier der Gesänge werden en bloc am Ende vertanzt. Im Laufe einer guten Stunde (länger dürfte es nicht sein) werden die Kostüme immer verspielter, üppiger, pseudo-barocker.
Schade eigentlich, dass die Musik aus der Konserve kommt. Es ist eine von Dietrich Fischer-Dieskau dirigierte Aufnahme der Orchesterfassung mit Julia Varady als Solistin. Man versteht kein Wort, aber Übertitelung wäre wohl kontraproduktiv in dem Fall. Eine Sängerin und, zumindest, einen Pianisten hätte man sich leisten können.
Emanuel Gat liebt demokratische Prozesse bei der Arbeit. „Ich achte in meiner Arbeit nicht auf Formen oder Bewegungen im eigentlichen Sinne, sondern ich beobachte, wie die Individuen sich verhalten, wie Systeme sich verhalten, und versuche, das zu analysieren“, wird er im Programmheft zitiert. Seine choreographische Arbeit sei „die Summe der Entscheidungsfindung aller Beteiligten“. Man kann sich viel dazu denken – muss aber nicht. Dieses Tanztheater sieht auch einfach schön aus – aber sehen wir das so entspannt, gehen wir wohl Wagner in die Falle und outen uns auch als solche, die sich nach getaner Arbeit genießerisch zurücklehnen.