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Mörderin? Kriegstreiber. Schwanenritter!

OSTERFESTSPIELE / LOHENGRIN

10/04/22 Das Fürstentum Brabant am Rande eines Krieges, der das kleine Staatswesen rein gar nichts angeht. Der König verlangt Soldaten. Und man hat grad' eine Führungskrise: Der Thronfolger verschollen, vielleicht ermordet von der älteren Schwester, die aufgrund ihres Geschlechtes von der Herrschaft ausgeschlossen ist und sich mehr als seltsam verhält...

Von Heidemarie Klabacher

In den ersten Buh-Sturm nach der Premiere gerieten die drei Chorleiter. Man hat sie im Übereifer der Empörung wohl für das Regie-Team gehalten. Die Leistung der drei Chöre – zweimal Salzburg, einmal Dresden – war grandios. Wie musikalisch-sängerisch der gesamte neue Lohengrin der Osterfestspiele. Die Regie, nicht ganz so stringent, hat dann doch den größeren und wohl auch gemeinten Buh-Sturm abbekommen. Zu Unrecht. Denn die Inszenierung am Rande eines Kriegsausbruches hat viele nachdenkenswerte Aspekte.

Elsa verhält sich seltsam, scheint in einer tiefen psychischen Krise zu stecken und phantasiert sich einen überirdischen Helden als Retter herbei. Das ist, wie es sich gehört. Diese Elsa aber hat vielleicht tatsächlich ein Geheimnis, wie das Regieteam (recht halbherzig) anzudeuten versucht. Was viel mehr auffällt als der unterstellte Mord: Die frisch verheiratete Elsa steckt, nach verbotener Frage nach der Herkunft, die Entrückung des Ehemannes in höhere Sphären erstaunlich locker weg. Eine moderne Frau lehnt lässig in Hosen an der Wand, schaut und hört sich distanziert unbewegt Lohengrins Performance mit der Grals-Erzählung an. Geht ihr wohl sonstwo vorbei, dass der Schwiegerpapa der Grals-König ist...

Der weltliche König, Heinrich, zwingt ja die Brabanter, Soldaten für seinen fernen Krieg im Osten zu stellen. Als der von Elsa herbeigesehnte Retter und Held tatsächlich aufkreuzt und sich prompt den Macht- und Kriegsgelüsten König Heinrichs andient, wächst in Elsa ganz und gar un-märchenhafter weiblicher Widerstand gegen Bevormundung und Gewalt.

Das Regie-Team Jossi Wieler, Anna Viebrock und Sergio Morabito erzählt Richard Wagners Lohengrin in einer Zeit vor dem Ersten Weltkrieg. Man meint gelegentlich, Fotos von „damals“ zu sehen. Die Uniformen der Soldaten, wie der Pflege-Schwestern, die Kleider der Menschen von Brabant, alles sehr stilsicher und mit Liebe zum historischen Detail gemacht, ohne sich allzusehr aufzudrängen. Dominierend ist das Setting – ein düsterer Schauplatz zwischen Werft, Hafen- oder Stau-Anlage, zwischen U-Bootbunker und Festung. Man kann sich nicht sattsehen an dem Bauwerk, dessen Funktionstüchtigkeit Burgenkundler oder Militärbaumeister unter die Lupe nehmen sollten.

Kein Lebensraum jedenfalls für die verträumte, exaltierte, auf jeden Fall psychisch schwer angeschlagene Elsa, Mörderin oder Nicht-Mörderin im unglaublich geschmacklosen Kleid. Auch keine Bühne für einen Helden in strahlender Rüstung. Tatsächlich wirkt dieser Lohengrin eher wie ein Ritter von der Kokosnuss, denn ein Grals-Gesandter. Die beiden Hauptfiguren werden von der Regie im atmosphärischen Regen letztlich allein stehen gelassen, ihre Geschichten, mit oder ohne Brudermord werden nicht fertig erzählt: Offensichtlich bewusst, so als wüsste man, dass es für Helden der Rettung oder für Heldinnen der Selbstaufgabe keinen Platz mehr gibt in unserer Welt.

Dieser Gedanke drängt sich umso mehr auf, angesichts der Stringenz und Eindrücklichkeit, mit der die Gegenspieler – Friedrich von Telramund und dessen Gemahlin, die Heidenpriesterin Ortrud – gezeichnet werden. Die beiden wissen, wofür sie intrigieren, manipulieren und mit unsaubersten Mitteln kämpfen. Selten zwei so sympathische Bösewichte erlebt, deren Gefühle füreinander jedenfalls deutlich echter zu sein scheinen, als die Projektionen von Heldentum und Reinheit, mit denen Lohengrin und Elsa das einander Erkennen und Akzeptieren verunmöglichen. Die Lesart von Jossi Wieler, Anna Viebrock und Sergio Morabito vergönnt dem Publikum keine eindeutige Botschaft a la „Wir sind die Guten“ oder gar „Wir Deutschen/Europäer/Westler/Weißen sind die Guten“. Hat sich was mit Christentum versus Heidentum. Daher rührte bei der Premiere am Samstag (9.4.) im Großen Festspielhaus wahrscheinlich auch das Missfallen weiter Teile des österlichen Publikums: Wer lässt sich schon gern seine Aus-Erwähltheit vermiesen...

Musikalisch ist in diesem Lohengrin die Welt nicht nur schwer in Ordnung. Sie ist perfekter, schillernder, aufregender, dramatischer und feinsinniger als je eine Interpretation nur gewesen sein kann. Christian Thielemann am Pult der Sächsischen Staatskapelle Dresden ist ein Zauberer, ein Magier, selbst wie eine Figur aus einer Oper, die mit einem Wink zu betören, erschrecken, zu verzaubern vermag.

Die Musikerinnen und Musiker der Staatskapelle Dresden – lauter Mit-Magier von Rang. Die Ausbrüche des schweren Blechs sind von so großer Delikatesse, wie das feinste Geigen-Flirren von größter Intensität. Beides braucht's im Lohengrin ständig – und so hält man auch ständig den Atem an vor lauter Staunen und Betörtheit. Thielemanns Tempi sind tendenziell getragen, die Linien bis in die Tiefen der Partitur durchhörbar machend, auskostend. Von entlarvender, den weiteren Verlauf der Geschichte vorab verratender Fiebrigkeit und Zerrissenheit etwa die Musik auf das Hochzeitsfest hin.

Und erst mit Sängerinnen und Sängern von solch hoher Art lässt sich diese Geschichte überhaupt erzählen. Sie überbrücken die unvermeidliche Kluft zwischen Text und aktueller Umsetzung. Hier etwa „Schwan und Kriegsschiff“, die beide nicht kommen. Gegen den Text – grauenhafter denn je in aktuellen Kriegszeiten die Beschwörungen des Deutschtums – kann man ja bei bestem Willen nichts unternehmen.

Hans-Peter König ist ein darstellerisch statuarischer, sängerisch wendiger König Heinrich. Eric Cutler lässt als Lohengrin mit – tatsächlich passt das stereotype Adjektiv – strahlender tenoraler Helle und geschmeidigen Höhen keine Wünsche an diese Partie offen. Jacquelyn Wagner als Elsa von Brabant berührt mit genau dem richtigen Maß an Verletzlichkeit, die ihre Darstellung so überzeugend macht, sich dabei aber nicht auf den Sound schlägt. Geradlinig, strahlend und klar, ohne Beschwer bis in die hohen Lagen überzeugt dieses Stimme. Eine hervorragende Elsa. Markus Brück ist ein stupender Heerrufer des Königs von überzeugender Präsenz, auch als „Subdirigent“ der Fanfarenbläser. Die eigentlichen Gesangsstars der Produktion sind freilich Martin Gantner als Friedrich von Telramund und Elena Pankratova als Ortrud. Ihre stimmtliche und darstellerische Präsenz, stupende Textdeutlichkeit bei sängerischer Leichtigkeit und Geschmeidigkeit machen ihre Szenen zu Höhepunkten.

Lohengrin - eine weitere Aufführung am 18. April - www.osterfestspiele-salzburg.at
Bilder: OFS / Ruth Walz

 

 

 

 

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