Die Kunst-Handwerker in ihrem Stadttheater
OSTERFESTSPIELE / DIE MEISTERSINGER VON NÜRNBERG
14/04/19 Beherzt greift Evchen ein, weil ihr Zukünftiger nach Hans Sachsens finaler Standpauke in Sachen deutscher Meister und deren zu ehrender Kunst gerade etwas ratlos dasteht. Wird der Tenor-Strahlemann mental kippen und sich doch noch einfügen ins so wertkonservative wie inhaltlich ausgeronnene Kleinbürger-Weltbild der Nürnberger Kunst-Handwerker?
Von Reinhard Kriechbaum
Eva also wird initiativ. Walther von Stolzing hat ja (neben ihr selbst als Braut) eine zweite Trophäe bekommen, ein Bild. Eva langt zu. Sie zerfetzt die Leinwand und das junge Paar macht sich davon. Hans Sachs bricht nach einer gehörigen Schrecksekunde in Lachen aus. Vielleicht ein galliges Lachen der Enttäuschung, vielleicht auch ein befreiendes Lachen, dass gesellschaftspolitisch doch etwas weitergeht. Jedenfalls nicht die Spur von Integration des Junkers ins altdeutsche Nürnberg, auch wenn er den Gesangswettbewerb mit Sachsens Hilfe und Volkes Zustimmung für sich entschieden hat...
Aber reden wir nach diesen Meistersingern von Nürnberg, die Christian Thielemann heuer bei den Salzburger Osterfestspielen dirigiert, unbedingt zuerst vom Chef der Staatskapelle Dresden, von seinen Musikern und vor allem dem Sängerensemble. Dieses ist handverlesen. Von Hans Sachs, Sixtus Beckmesser und Walther von Stolzing bis hinunter zum Nachtwächter. In diesem Herrenensemble wird jede individuelle Stimmfärbung unmittelbar genutzt fürs Dialogische, jedes Timbre wirkt eingefangen und abgesichert im Orchestersatz. So werden die Meistersinger zu jenem grandiosen Konversationsstück, das in vielen Aufführungen untergeht in den keineswegs sanften Orchesterattacken. Da ist Christian Thielemann vor!
Hat man im ersten Akt schon mal so viel vom tänzerischen Pulsschlag dieser Musik mitbekommen? Das Ohr wird beständig hingelenkt auf die polyphonen Finessen, aus denen immer wieder der Dreivierteltakt mit Ironie und Charme hervorblitzt. Das verfolgt Thielemann mit der ihm eigenen Konsequenz, mit Ruhe und Übersicht. Dieser Dirigent mag nicht der Gestalter sein, der eine Szene wie jene mit der vorlauten Schusterhammer-Begleitung zu Beckmessers Ständchen wirklich pfiffig ausreizt. Dafür umso mehr die vage Melancholie im dritten Akt (vom Vorspiel weg), diese Reflexion von ästhetischer Ratlosigkeit im Nürnberg der sich selbst genügenden singenden Handwerksmeister: Da steht Thielemann für eine beispiellos schlüssig nachgezeichnete und anschaulich vermittelte Musik-Dramaturgie.
Dafür braucht's, gerade im dritten Akt, Sänger wie Georg Zeppenfeld, der an die Partie des Hans Sachs im Wissen um eine souverän durchsetzungskräftige Stimme und mit der Zurückhaltung eines Liedsängers herangeht. Ein Gestalter, der jeden Nerv, jede psychische Stimmungslage dieser Rolle auslotet. Dafür wieder braucht's die Gegenspieler: Adrian Eröd als Beckmesser – ein wieselflinker Schleimer, so anrührend wie pikant-komisch in seinem hoffnungslosen Eifer. Von den Meistern sei wenigstens Vitalij Kowaljow (Veit Pogner) erwähnt: Er hat die profunde Stimme für einen kernigen Fundamentalisten (also das genaue Gegenbild zum Selbstzweifler Hans Sachs).
Auf der Festwiese wird Klaus Florian Vogt als Walther im weißen Sakko wirken wie der einstige Wagner-Tenorstar Peter Hoffmann bei seinen Ausflügen ins Pop-Genre, und das passt mit der leuchtkraft dieser Stimme und der Regie-Auslegung der Rolle denkbar gut zusammen. Auch in Tenor-Regionen ein gediegenes Sänger-Casting: Klaus Florian Vogt und Sebastian Kohlhepp (ein spielfreudiger, stimm- und bühnenpräsenter David) geben ein gar wunderbar aufeinander eingestimmtes Kontrast-Paar ab. Von Jacquelyn Wagner als Eva dürfte man gelegentlich mehr hören, sie emanzipiert sich dann doch einigermaßen im Finalakt. Christa Mayer (Magdalene) kommt viel besser raus. Der Sächsische Staatsopernchor Dresden und der Salzburger Bachchor (letzterer stellt eine Schar der „Werktätigen“ rund um David) sind deklamationsgenau und auch oft bemerkenswert fein-stimmig zur Stelle.
Regisseur Jens-Daniel Herzogs Regie drängt sich nicht in den Vordergrund. Er schreibt – nicht unlogisch – die kleine Welt der Meistersinger einem Stadttheater ein. In diesem bürgerlichen „Musentempel“ nehmen sie selbstbewusst die Parkettsitze ein. Die Handwerker inszenieren dort sich selbst und ihre für sie (und wohl nur für sie) schlüssige Kultur. Eine kleine, überschaubare, engstirnige Denk-Welt. Höchste Zeit, dass einer wie Walther von Stolzing auftaucht, der dort nicht hinein passt und nicht hinein passen will. In diesem Rahmen inszeniert Jens-Daniel Herzog also sehr aufrichtig und geradlinig Wagners Libretto mit Liebe zur Individualisierung. Da gibt es handwerklich absolut nichts zu mäkeln. Es ist eine so unaufdringliche wie uneitle, Wort-getreue Regie. Das passt bis zur Festwiese verdächtig stimmig in die Meister-Kleinbürgerei. Für das Fest öffnet Jens-Daniel Herzog die Theater-Enge, die Proszeniumslogen fahren seitwärts, es wird Platz geschaffen für ein wohlgesittetes Klein(st)bürgerfest. So schaut Halligalli in einem urdeutschen Städtchen aus! Eva wird auf einem Sessel inmitten in einem Kleid in sagenhaftem Zuckerlrosa zur Schau gestellt. Schlichte Botschaft: Als Mensch bleibt man mit so gut wie allen Bedürfnissen auf der Strecke in diesem Bürgermief. Und drum wird sie das Meistersänger-Siegerbild zerstören, den Rahmen auf den Boden schmeissen. Und sich mit Walther davon machen.
Das ist keine originelle Deutung, aber eine plausible Lesart ohne modischen Schnickschnack und ohne aufdringliche Aktualisierung. Passt gut zu den Osterfestspielen und seinem Publikum, das sich der Regisseur im ersten Akt mal kurz direkt vorknöpft. Wenn Hans Sachs beklagt, dass dem Volk die Kunst wenig und das Geld viel schert, deutet er in den Zuschauerraum und das Licht geht dort kurz an. Ein klein wenig dräut in dieser Regie schon auch der Holzhammer.