Wunschmädchen walten dort hehr
OSTERFESTSPIELE / DIE WALKÜRE
09/04/17 Was für ein liebevoller Vater! Nicht nur Helm und Harnisch trägt er seiner Tochter nach, sogar die Schuhe. Wotan hat sich endgültig verheddert in der eigenen Strategie, mental hat er längst abgedankt als Weltenlenker. Der vermeintlich notwendige Formalakt – Brünnhildes Verbannung von Walhall – ist sein individuelles Desaster als Gott-Mensch.
Von Reinhard Kriechbaum
Zum 50-Jahre-Jubiläum der Osterfestspiele also jene „Walküre“, mit der Karajan 1967 sich selbst als Regisseur eingeführt hat. Wotan sei Dank, hat es damals noch keine DVD gegeben. Niemand konnte also jetzt auf die Idee kommen, in dem Bühnenbild von Günther Schneider-Siemssen damalige Personenführung detailgetreu nachzustellen. Vera Nemirova erzählt die Geschichte genau und geradlinig, aber nicht un-heutig. So angezogen, wie Siegmund in Hundings Hütte schneit, könnte ein syrischer Flüchtling sein. Brünnhilde, die sich im zweiten Akt als unbeschwerter Teenager mit einem Steckenpferd eingeführt hat, bangt dem Feuerzauber im T-Shirt entgegen. Und Fricka, aufgedonnert in üppiger Abendrobe, ist eine Figur aus überlebter Zeit. Eine Göttin, die auf der alten Ordnung beharrt und den pragmatischen Finten Wotans absolut nichts abgewinnen kann.
Doch zuerst muss nach dieser umjubelten Osterfestspiel-Premiere von der Musik die Rede sein, und da zuvorderst von Christian Thielemann und der Sächsischen Staatskapelle Dresden. Wenn Wagner so aus dem Orchestergraben tönt, kammermusikalisch ausgehorcht, behutsam entschlackt, melodisch schimmernd, ohne jeden Nach-Druck: Dann ist Wortdeutlichkeit kein Thema mehr. Sie kommt wie selbstverständlich. Es ist eine gar wundersam leichtfüßige, Interpretation, ohne falsches Vibrato in den Streichern, in der man vom ersten bis zum letzten Takt jedes gesungene Wort mitbekommt, und zwar von jedem und jeder der Protagonisten.
Thielemann ist eben nicht nur Maestro, sondern auch deutscher Kapellmeister. Er hat für diese Aufführung ein weitgehend muttersprachliches Sängerensemble eingeschworen und führt diese Sängerschar mit größtem Verständnis für stimmliche Ökonomie. Wenn Wotan seine ausführlichen Erzählungen rezitativisch frei, mit wortbezogener Akkuratesse im unteren dynamischen Bereich entfalten kann, dann bleiben ansehnliche konditionelle Ressourcen für die ultimative Auseinandersetzung mit Brünnhilde, für die Emphase einer Gefühlsvermessung.
Der schweizerisch/ukrainische Bass Vitalij Kowaljow und Anja Kampe können also im dritten Akt stimmlich ohne Abstriche aus dem Vollen schöpfen. Thielemann geht auch da noch oft und gerne dynamisch mehr als einen Schritt zurück. Was sich da auf der Opernbühne ereignet, ist eigentlich Liedgesang in feinsten Nuancen. Man möchte eigentlich mitweinen mit beiden, wie sie einem unerbittlichen Antikenschicksal so menschlich-zerbrechlich entgegen steuern.
Ähnliches gilt eingangs für Siegmund und Sieglinde: Es wird besonders deutlich, wie subtil die Regisseurin der Musik und Thielemanns Interpretation zuarbeitet: Mit wie viel Wärme umfasst Peter Seiffert die Hände von Anja Harteros! Nicht wenig Selbstbeherrschung braucht es von ihrer Seite, sich loszureißen von dem zu diesem Zeitpunkt noch unerkannten Bruder. Da ist sie eine Sieglinde mit Schärfe in der Stimme, die ganz anders klingen wird, wenn die Winterstürme dem Wonnemond gewichen sein werden. Wieder ein eigenes Timbre hat Harteros, wenn sie Sätze singt, die Hunding von ihr einfordert. Dem gibt Georg Zeppenfeld Schwärze und Schneid. Die Regisseurin arbeitet sehr deutlich heraus, was für ein geknechtetes Wesen Sieglinde, was für ein fieser Pascha Hunding ist. Der routinierte Peter Seifert ist ein gestandener Siegmund, der neben solchen Partnern noch einmal wächst.
Anja Harteros und Anja Kampe sind zwei der „Wundermädchen“ in dieser Aufführung, aber auch Christa Mayer als Fricka weiß die Gunst der Stunde – eine geradezu beispiellose Sängerfreundlichkeit – zu nutzen. Es ist spannend, ihrer Argumentation zu folgen. Da kann einem Wotan nur leid tun. Vitalij Kowaljow kraftvoll und wendig, wirkt jung für diese Rolle, ist ja auch noch jung. Auch daraus macht die Regisseurin etwas: Der ideologisch durchgebeutelte Wotan wäre vielleicht in der Lage, das Steuer herumzureißen, wirkten da nicht beharrende Gegenkräfte wie Fricka. Ihr tragen die gehörnten Fabelwesen einen weißen Lederfauteuil nach, in dem Wotan dann kümmerlich einsinken wird. Vitalij Kowaljow holt gestalterisch das Maximum raus für sich.
Das Alte und das Neue: Stimmt schon, Schneider-Siemssens Weltesche sieht aus, als hätte sie Clemens Holzmeister entworfen und Jakob Adlhart geschnitzt. Passt eh so nach Salzburg. Die einstige Glasscheiben-Malerei für Projektionseffekte ist nun natürlich durch Video ersetzt. Ein Unterschied wie zwischen Vinyl und CD – man könnte dem Alten aus Idologie- und Stimmungsgründen durchaus nachweinen.
Den Sternenkreis, auf dem Wotan und Fricka wandeln, hat der Neo-Ausstatter Jens Kilian dann ziemlich weit vom Karajan-Vorbild weggerückt. Da werden jetzt die Namen der Nibelungen und Wälsungen projiziert, Stammbäume und Intrigen-Linien einer aus den Fugen geratenden Chronique scandaleuse. Bei so etwas wie dem „Ring“ könnte sich ohne Spickzettel sogar Walvater Wotan verheddern...
Also kommt sogar leichte Ironie ins Spiel, auch im völlig statisch gelösten Walkürenritt, den Thielemann als schneidigen Marsch spielen und singen lässt und nicht als zermalmendes Luft-Getöse. Das ist sehr eigen, aber überzeugend.
Im Programmalmanach versichert Regisseurin Vera Nemirova, dass sie die Geschichte im heute angesiedelt wissen will, dass ihre Sängerdarsteller die Erfahrung heutigen Regietheaters auch gar nicht ablegen könnten. Nemirova vertraut dem Plot, entsagt sich übergestülpter Deutungen. Sie nimmt Wagners Dichtung durchaus beim Wort, und das ist gut so, weil anschaulich genug. Die Charaktere sind liebevoll gezeichnet, bis in die Schar der Walküren hinein. Hätte das Attribut „werktreu“ nicht die verdächtige Konnotation von Wotan mit Hörndln, man müsste dieses Wort als Adelprädikat für eine Regiehaltung vergeben, der das Osterfestspielpublikum große Begeisterung entgegen brachte. Den allermeisten Jubel haben verdientermaßen die Staatskapelle und Thielemann eingeheimst.