Böhmen liegt ja doch in Finnland
KULTURVEREINIGUNG / DEUTSCHE RADIO PHILHARMONIE / INKINEN
11/05/23 Bedřich Smetana mit deutsch-finnischer Brille betrachtet: Fast schon ist der sechsteilige Mein Vaterland-Zyklus ein „Vorrecht“ der Prager Sinfoniker. Nun gab die Deutsche Radio Philharmonie Saarbrücken Kaiserslautern unter ihrem Chefdirigenten Pietari Inkinen mit Má Vlast ihre Visitenkarte bei der Kulturvereinigung ab.
Von Horst Reischenböck
Smetana stammte eigentlich von deutsch-sprachigen Vorfahren ab. Musikalisch orientierte er sich vorerst an Franz Liszt. Richard III. und Wallensteins Lager waren bei uns schon zu hören gewesen, Hakon Jarl harrt noch einer Aufführung. Außerdem komponierte Smetana in jungen Jahren, „als Böhmen noch bei Österreich war“, eine der Kaiserin Sisi gewidmete Triumph-Symphonie mit der Kaiserhymne mitein.
Nachdem Bedřich Smetana sich relativ spät seines Vaterlands bewusst wurde und erst dann seine und damit zweite Muttersprache erlernte, gelang es ihm gleichzeitig, im Zuge des aufkeimenden Nationalismus im 19. Jahrhundert zum Begründer einer typisch lokal gefärbten Musik zu werden. Der Gesamtzyklus Má Vlast gehört zum unverzichtbaren Auftakt des Festival Prager musikalischer Frühling, während aus dem halben Dutzend Tondichtungen doch eher nur Die Moldau international allgemein bekannt wurde und blieb. Auch im Großen Festspielhaus am Mittwoch (10.5.) setze unmittelbar danach spontaner Beifall ein.
Smetanas Gedanken kreisten aber weit umfassender. Ihm ging es um ein Abbild früherer Größe, über die der Barde in Gestalt zweier Harfen zu berichten anhebt. Wobei jene Melancholie nicht ausgespart bleibt, der sich im Großen Festspielhaus der 43jährige Dirigent Pietari Inkinen mit großer Geste verschrieb – und die von der Deutschen Radio Philharmonie instrumental perfekt umgesetzt wurde. Schon hier bestachen die Soli der Klarinettistin und die Hörner durch ihre Piano-Kultur.
Danach sprudelten die beiden zur Vltava vereinten Quellen fröhlich aus den beiden Flöten, ehe sich eben die Moldau ihren Lauf durch die Lande bahnte. Wobei Inkinen allzu großer Folklore eher zu misstrauen schien und im Bass pulsierend rhythmische Momente weniger tänzerisch pointiert ausspielen ließ. Und, im Gegensatz zu der herrlich gedeutet romantischen Mondscheinnacht, den Fluss fast irgendwie nebenher im Delta verschwinden ließ.
Šárka an dritter Stelle ist eigentlich das alleinige Relikt in Liszts Nachfolge innerhalb des Zyklus, weil von Beginn an programmatisch ausgedeutet. Wobei die lokale Amazone den Spruch von Marilyn Frenchs „Alle Männer sind Vergewaltiger“ noch nicht kannte, ihren Liebhaber in dieser Konsequenz dennoch tötete. Ideales Vorbild für alle #Me Too-Anhängerinnen? Andererseits ein packend klingend illustriert nachvollziehbares Drama ritterlichen Inhalts, perfekt in der Dunkelheit des düsteren Waldes angesiedelt und ausgespielt seitens aller engagiert daran beteiligten Instrumentalgruppen.
Nach der unvermeidlichen Pause dann das zweite Dreierpaket des Zyklus, beginnend mit Z českých luhū a hájū, korrekt übersetzt aus „Tschechiens“ und nicht wie üblich „Böhmens“ Hain und Flur. Auch hier der Eindruck, dass sich Pietari Inkinen allzu großes Sentiment versagte, indem er etwa nach dem ausgefeilt musiziertem Streicherfugato die in den Celli kurz aufblühende Kantilene eher nebensächlich abhandelte. Die in Tábor und Blaník zuletzt zum Ausdruck gebrachte Hussiten-Geschichte ließ er rechtens nahtlos aufeinander folgen und gipfelte die auf zukünftige Größe verweisende Verklärung dann mit der letzten Stretta beeindruckend auf. Begeistert bejubelt.