Ein Markstein in der Diskographie
CD-KRITIK / MOZARTEUMORCHESTER / ROTT
20/07/16 „So schnell schießen die Preußen nicht!“ Deshalb gibt es wohl die Zweite Symphonie, deren Veröffentlichung die Bruckner-CD-Serie komplett machte, noch nicht. Erfreulich hingegen, dass die Symphonie von dessen Orgel-Schüler Hans Rott, aufgenommen unter Constantin Trinks, jüngst erschienen ist.
Von Horst Reischenböck
In der Sonntagsmatinee des Mozarteumorchesters am 4. November 2015 ist die E-Dur-Sinfonie mitgeschnitten worden. Man spricht von Hans Rotts Erster Symphonie, von einer zweiten ist nichts bekannt. Rott, ein Studienkollege und -freund von Gustav Mahler, ist ja nicht einmal 28jährig tragisch gestorben. Die Symphonie, mit der er seinem zwei Jahre jüngeren Freund Gustav Mahler die Messlatte gehörig hoch gelegt und vieles vorweggenommen hatte, wurde erst über hundert Jahre nach ihrem Entstehen in Cincinnati uraufgeführt. Das Mozarteumorchester präsentiert sich rundum von seiner besten Seite, hörbar beflügelt vom mittlerweile 41 Jahre jungen Gastdirigenten Constantin Trinks aus Deutschland. Drei weitere Aufnahmen des raren Werks sind derzeit greifbar, unter Leif Segerstam aus Norköpping, unter Paavo Järvi mit dem hr-Sinfonieorchester Frankfurt und unter Dennis Russel Davies mit dem ORF-Symphonieorchester.
Gustav Mahler mag sich einst zu einer Aufführung nicht aufraffen haben wollen,weilseine und Rotts Vorstellungen einfach zu ähnlich waren. Vieles wirkt ja wie Mahler voraus komponiert. Rotts Werk bietet als einziges Bindeglied zwischen Bruckner und Mahler ein faszinierendes Panoptikum zeitgleicher Einflüsse, nur vielleicht noch nicht bis in letzte Perfektion hin ausgeklügelt.
Der Beginn mit einer weit geschwungenen Trompetenmelodie à la Anton Bruckners Dritter Symphonie (ihrerseits von Wagner beeinfluss) weist eigentlich auch schon auf die Symphonie Nr. 4 von Franz Schmidt voraus. Die, wie das übrige Blech, exzellenten Trompeten werden übrigens im weiteren Verlauf wie selten strapaziert. Der ganze Klangkörper steigert sich in Wagnersche und Brucknersche Anklänge hinein. Das Werk ist wohl deshalb von der begutachtenden Jury für den Kompositionswetttbewerb an Wiens Konservatorium unter Vorsitz von Johannes Brahms als nicht preiswürdig befunden worden. Da kannte diese noch nicht das demgegenüber schier ausufernde Finale mit dem tonschön musizierten Holzbläser-Dialog zu Anfang. Esgibt also auch Brahms-Reminiszenzen...
Vom innewohnenden Gefühl her tief lotend wirkt der elegische zweite Satz, der aus einer von den Steichern formidabel ausgeleuchteten Kantilene in dramatische Tiefe führt. Das Scherzo an dritter Stelle würde eins zu eins in eine Mahler-Sinfonie passen. Dessen Esrte Symphonie, an dieman mehrmals denkt, ist übrigens erst acht Jahre später entstanden.
Das alles wirkt erstaunlich und tief beeindruckend, nicht zuletzt dank der auch akustisch ausgezeichnet eingefangenen Live-Darstellung durch das Mozarteumorchester. Constantin Trinks ließ sich Zeit zum Auskosten des Süffigen, vermmittelte den Ausführenden aber auch wirbelnd rhythmische Impulse. Ein Markstein in der Diskographie des Orchesters.