Schätze aus einem unermesslichen Fundus
CD-KRITIK / WIENER PHILHARMONIKER UND IHRE DIRIGENTEN
26/08/15 Sie machen nicht viel Aufhebens darum: Seit 2013, also heuer im dritten Jahr, veröffentlichen die Wiener Philharmoniker in Eigenregie Aufnahmen von Konzerten bei den Salzburger Festspielen. Erinnerungen an Abende unter Georges Prêtre, Lorin Maazel und Christian Thielemann.
Von Horst Reischenböck
2004 widmete sich Georges Prêtre im Großen Festspielhaus eindrucksvoll Richard Wagners „Tannhäuser“-Ouvertüre samt Bacchanale in der Pariser Version, und er ließ die Symphonie fantastique op. 14 von Hector Berlioz folgen. Ein Werk, mit dem er schon vor dreißig Jahren ins Studio gegangen war (damals noch Chef der Wiener Symphoniker), um eine bis dato Referenzeinspielung hinzulegen. Diese hat er bei seinem Festspielkonzert 2004 übertroffen – der Vergleich macht sicher. Das liegt nicht nur in der orchestralen Qualität der von Hannes Eichmann verantworteten, hervorragenden ORF-Aufnahme begründet, die subtil alle instrumentalen Finessen spiegelt. Prêtre gestattete sich beim Nachzeichnen, peniblen Auskosten von Berlioz' Szenen eines Künstlerlebens jeweils um durchschnittlich fast eine Minute pro Satz mehr Muße. Er formte diese zu einem grandiosen, letztendlich elektrisierenden Ton-Fresko. Was die Doppel-CD doppelt kostbar macht, ist aber im Anschluss daran nicht nur die Ansprache von Clemens Hellsberg zur Feier von Prêtres damals 80er in Verbindung von 50 Jahren Zusammenarbeit mit ihm, sondern als wahre Rarität ein nicht als Zugabe zu wertendes Geburtstagsständchen: die berühmte Barcarole aus „Die Rheinnixen“ bzw. „Hoffmanns Erzählungen“ von Jacques Offenbach.
Die Ouvertüre zu „Die lustigen Weiber von Windsor“ von Otto Nicolai stammt übrigens nicht aus Salzburg sondern ist ein Mitschnitt vom Neujahrskonzert 2010. Nicolai regte am 28. März 1842 das damals Orchesters des k.k. Hof=Operntheaters (damals noch „nächst dem Kärnthnertor“) zu einem ersten Konzert: die Geburtsstunde der Wiener Philharmoniker. Das traditionelle Nicolai-Konzert der Philharmoniker im Musikverein hat Georges Prêtre natürlich auch schon dirigiert.
2014 erinnerten die Philharmoniker in ihrer „Special Annual Edition“ an ihre Ausführung von Anton Bruckners Sinfonie Nr. 5 in B-Dur ein Jahr zuvor unter Christian Thielemann. Verblüffend, wie dasselbe Orchester unter seinem Taktstock klingt: samtig, warm und vollmundig, ja sinnlich in den Streicherkantilenen, perfekt abgerundet, ausgewogen geschichtet im immer wieder neu aufblühenden Klang der Holz- und Blechbläser. So, wie es ohne jegliche Anstrengung eben nur den Philharmonikern zu Gebote steht. Auch Thielemann ließ sich Zeit zu Nachdenklichkeit, mehr als viele seiner Kollegen, ohne sich deswegen in übertrieben weihevolle Feierlichkeit zu verlieren. So ist das Werk in allen Details durchhörbar, quasi zum Mitschreiben geeignet.
Die neue CD von diesem Jahr gemahnt an den Tod von Lorin Maazel 2014. 1998 stand er zuerst als Geiger vor den Philharmonikern: einmal in Wolfgang Amadé Mozarts C-Dur-Rondo KV 373 und danach seiner eigenen Music for Violin and Orchestra (Dirigent der Uraufführung war Wolfgang Gieron). Das Hauptwerk bildete Pjotr Iljitsch Tschaikowskys 6. Sinfonie in h-Moll, die Maazel in der Vergangenheit mit verschiedensten Orchestern, auch den Wienern, gestaltete. Immer wieder neu, auch zu dieser Gelegenheit: erst ohne Pathetik, um nach dem Kampf die niederschmetternde Elegie umso trauriger aussingen zu lassen. Nach dem überirdisch dahin schwebend 5/4-Walzer war der Geschwindmarsch derart aufgedreht, dass sich Hände zu spontanem Applaus regten. Dagegen das Lamento voller Intensität zu gedanklichem Innehalten, wert dieser Dokumentation. Auf Fortsetzungen darf man gespannt sein.