asdf
 

Der bessere Orlando di Lasso?

CD-KRITIK / CLAUDE LEJEUNE

18/06/14 Da gab es einen, den kundige Zeitgenossen in einem Atemzug mit Orlando di Lasso nannten: Claude LeJeune hieß der Mann. Und tatsächlich: Was Paul van Nevel und das Huelgas Ensemble von diesem heute weitgehend Unbekannten zutage fördern, ist Musik auf höchster Höhe der Zeit.

Von Reinhard Kriechbaum

Vielleicht war Claude LeJeune sogar der bessere Orlando di Lasso. Der „Modernere“ jedenfalls. Aber Karriere hatte schon damals nicht nur mit Qualität zu tun, sondern auch mit Management, mit den richtigen Kontakten. Und so kam es, dass dieser Claude LeJeune, wiewohl aus derselben Region wie Orlando di Lasso, dem französischen Flandern, stammend, eine dramatisch ungünstigere Startpositionen vorfand als sein 1532 in Mons geborener Landsmann. Mons war eine erzkatholische Stadt, wogegen Valenciennes, wo Claude LeJeune 1528 das Licht der Welt erblickte, eine Hochburg der Hugenotten war. Kein gutes Startfeld, auch ein Jahrhundert vor der Eskalation aller Glaubens-Scharmützerl im Dreißigjährigen Krieg nicht. Der hochgerühmte Lassus hat auf die Netzwerke der katholischen Leitkultur zählen können. LeJeune war und blieb Außenseiter, konnte von „Karriereplanung“ nur träumen – auch wenn sich die Qualität seiner Musik durchaus herumgesprochen hat unter den Kollegen. Die Pariser Musikverleger Le Roy & Ballard (mit denen Orlando di Lasso befreundet war) druckten sehr wohl seine Musik und nannten auch seinen Namen – zeitweise mit dem hochberühmten Lassus in derselben Titelzeile…

Trotzdem keine Chance für Claude LeJeune, mit seinen Werken vergleichbare internationale Aufmerksamkeit zu finden. Da half es auch wenig, dass er Orlando eigentlich im Ausdruck deutlich voraus war: In dem fünfstimmigen Madrigal „Viv‘ in Dolor“, schraubt sich das Leiden des zurückgewiesenen Liebhabers in geradezu tollkühnen chromatischen Harmonien hinunter, dass man schon an Gesualdo denkt. Eine zerquetschte Seele wie jene in „Pauvre coeur“ wird man kaum finden in der Literatur des mittleren 16. Jahrhunderts. Dieses „arme Herz“ ist umringt von Leidenschaft und verliert jeden harmonischen Halt.

Das ist also intensive Ausdruckskunst, der in anderen Stücken ein leichter quasi italienischer Villanellen-Ton gegenübersteht. Claude LeJeune wollte es da dem Kollegen Orlando in einer von dessen Lieblings-Formen zeigen, mutmaßt Paul van Nevel im Booklet. Tatsächlich: „Quando lo gallo chiama la gallina“ (Wenn der Hahn die Henne ruft) geht’s bald lustig zu: „Canta cu cu ru cu“, und dabei bleibt es bestimmt nicht. Die Refrain-Varianten in „Debat la nostre trille“ (Unter unserm Pergel), wo Singdrossel, Grünspecht und Häher über dem turtelnden Paar ein federleichtes Tirilieren anstimmen, sind ungemein erfindungsreich – da tut sich für Paul van Nevel und dem famosen Huelgas Ensemble ein tolles Spielfeld auf, auf dem sich mit mancher interpretatorischen Idee effektvoll tricksen lässt. Das „La la la“ im burlesken „Tu ne l’enten pas“ erinnert stark ans „Don don don“ des Lasso‘schen „Matona mia cara“. Hier übrigens kommt eine junge Dame zum jungen Müller und denkt dabei nicht die Spur an seine Fähigkeiten im Getreidezerkleinern.

Klanglich opulente polyphone Kirchenwerke sind auch dabei. Wo kommt all die tolle Musik her? Claude LeJeune war seine behinderte Karriere nur zu bewusst. „So sehr mich die Ungerechtigkeit der Zeit auch davon abhielt, manche meiner werke ans Tageslicht zu bringen …“, klagt er im Vorwort eines „Livre des melanges“ 1585, habe er seine „Papiere durchgesehen“: Diese Notensammlung mit Vermischtem ist also die Fundgrube – und seinerzeit immerhin im angesehenen Druckhaus Plantin in Antwerpen veröffentlicht worden.

Die Schätze des Claude LeJeune. Huelgas Ensemble, Paul van Nevel. deutsche harmonia mundi, 8884 – www.jpc.de

 

DrehPunktKultur - Die Salzburger Kulturzeitung im Internet ©2014