Unbekanntes von der Beethoven-Front
CD-KRITIK / HAMBURGER SYMPHONIKER / PETER RUZICKA
06/04/20 Eigentlich gedachte Rudolf Buchbinder während der nun abgesagten Osterfestspiele im Konzert für Salzburg ein „Sechtes“ Klavierkonzert von Ludwig van Beethoven vorzustellen. Noch-Intendant Peter Ruzicka und Pianistin Sophie-Mayuko Vetter stahlen ihm die Show aber schon bereits zuvor in Hamburg mit einer CD-Aufnahme.
Von Horst Reischenböck
Als „World Premiere Recording“ ist das gerade im Beethoven-Jahr ein aufschlussreiches Hör-Dokument. Die Frage stellt sich zunächst: Was soll das, ein Klavierkonzert Nr. 6 in D-Dur vom Jahresregenten? Man darf es nicht verwechseln mit Beethovens eigener Adaptierung des Soloparts seines Violinkonzerts derselben Tonart für Klavier op. 61A.
Das Booklet erläutert die Bewandtnis mit dem Fragment: Es handelt sich um siebzig Seiten erhalten gebliebener Skizzen und ein Partitur-Autograph von 256 Takten, entstanden rund um den Jahreswechsel 1814/15. Es geht also auch nicht um thematisches Material, das in die Achte Sinfonie einging.
„Eines der gehaltvollsten von Beethoven nicht zur Vollendung gebrachten Konzepte“, so Nicholas Cook. Dessen Rekonstruktionsversuch hat der Bonner Musikwissenschaftler Hermann Dechant zu einem spielbaren Allegro von viertelstündiger Dauer mit schön ausmodellierten Holzbläserklängen vervollständigt.
Für die Pianistin Sophie-Mayuko Vetter, die 2005 bei den Salzburger Festspielen zusammen mit dem RSO Wien das Konzert Prospero's Epilogue von Claus-Steffen Mahnkopf zur Uraufführung brachte, ist es eigener Aussage nach ein „konjunktivisches Klavierkonzert im Sonne von 'Was wäre, wenn?'“ Wäre Beethoven mit seinem – wie sein Schüler Ferdinand Ries überliefert – aufbrausenden Temperament, vor allem gegenüber Veränderungen durch Andere, wohl damit zufrieden gewesen? Die im Vorjahr in Hamburgs Laeiszhalle hörbar liebevoll entstandene Aufnahme mag jedenfalls durchaus dafür sprechen.
Außerdem auf dieser CD: Beethovens Klavierkonzert Nr. 2, dessen Solo die Pianistin durchaus passend mit virtuosen Verzierungen anreichert und gerade das zentrale Adagio in absoluter Schönheit wunderbar ersterben lässt. Und als weitere Bereicherung das frühe Klavierkonzert in Es-Dur Nr. 0 WoO 4 des Vierzehnjährigen aus Bonner Tagen. Den in Klaviertranskription erhalten gebliebenen Orchesterpart, den der berühmte Wiener Musikwissenschaftler Guido Adler 1890 veröffentlichte, instrumentierte Willy Hess. So wurde es erstmals 1968 aufgeführt. Von des Komponisten Hand ist das Stück zwar als „un Concert pour le Clavecin ou Forte-piano“ bezeichnet, durch seine Dynamik-Anweisungen ist es jedoch eher einem Hammerklavier denn einem Cembalo zugedacht. Sophie-Mayuko Vetter entlockt dabei spielerisch verspielt einem historischen Instrument von John Broadwood dessen differenzierte Klänge. Durch Peter Ruzicka und das Hamburger Orchester wird sie darin partnerschaftlich subtil unterstützt.
Die Anzahl der Konzerte Ludwig van Beethovens wird also aufzustocken sein: Nicht nur fünf offiziell nummerierte, vielmehr eigentlich ihrer sieben und, die Chorphantasie mit eingerechnet, letztendlich sogar acht. Die vorliegenden Aufnahmen tragen jedenfalls zur Erweiterung der Kenntnis bei.