Obst, von fünf Chören umzingelt
CD-KRITIK / MÜNCHNER FÜRSTENHOCHZEIT
11/07/19 Womit könnte man einen Event wie die Münchner Fürstenhochzeit im Jahr 1586 in musikalischer Hinsicht vergleichen? Mit heutigen Salzburger oder Bayreuther Festspielen? Oder mit einem feinen kleinen Festival für vorwiegend sachkundige Hörer?
Von Reinhard Kriechbaum
Orlando di Lasso als Impresario jedenfalls wusste, dass er während der zweiwöchigen Festivitäten – Wilhelm V. von Bayern heiratete Renata von Lothringen und des Feierns war schier kein Ende – ein internationales Publikum und dessen höchste Erwartungen zufriedenstellen musste.
Wir wissen viel über die Musik damals, denn Massimo Troiano, ein Sänger der Münchner Hofkapelle, hat die Anläufe und auch Besetzungen detailliert geschildert, wenn er auch mit Komponistennamen geizte. Die Noten-Quellenlage ist gut. Und von Troianos Beschreibungen konnten Musikwissenschafter auf durchaus konkrete Werkfolgen rückschließen. Wenn Roland Wilson mit den sechzehn Sängerinnen und Sängern von La Cappella Ducale und der luxuriös-farbenprächtig besetzten Musica Fiata nun also eine tönende Blütenlese dieses Hochzeitsfests offeriert, ist das keineswegs Hypothese, sondern musikhistorisch gut abgesichert.
Orlando di Lasso, der selbst Monate im Voraus für die Fürstenhochzeit komponierte, wusste um die eigenen Fähigkeiten, aber auch um weitere Bedürfnisse seines einschlägig gebildeten und erfahrenen Publikums. Für den prachtvollen letzten Gottesdienst nahm Lasso deshalb Annibale Padovano (1527-1575) in die Pflicht. Der Grazer Hofkapellmeister hatte in Venedig die Tricks und Effekte der Mehrchörigkeit quasi von der Pike auf gelernt und verinnerlicht. Seine 24stimmige Messe für diesen Anlass gehört zum Eindrücklichsten auf dem Gebiet der Raum-Musik überhaupt.
Die Besetzungen dieser Aufnahme sind denkbar vielfarbig. Nur eine Gruppe ist rein vokal besetzt (acht Stimmen), in den anderen Chören ist jeweils bloß eine Stimme einer Singstimme anvertraut. So wird ein Maximum an Plastizität erreicht.
Auch Alessandro Striggio (1536-1592) verstand sich auf solche Effekte. Zur Tafelmusik am Hochzeitstag selbst hat er unter anderem ein vierzigstimmiges „Ecce beatam lucem“ beigetragen. Die Motette kam nach sieben weiteren Tafelmusik-Nummern als achtes Stück dran, zum frugalen Dessert. Obst, von fünf Chören umzingelt sozusagen. Vierstimmige Gruppen werden von Posaunen, von Blockflöten und von Violen unterstützt. Robert Wilson arbeitet den dramaturgischen Raffinements dieses Werks zu, er setzt immer wieder auch auf Beruhigung, und selbst noch im überbordenden Forte wird man gewahr, wie gediegen beispielsweise die Blockflöten die Gesangsstimmen diminuieren.
Musikalischer Chefkoch des siebengängigen Banketts war freilich Orlando die Lasso, und es ist lehrreich zu beobachten, zu welcher Würze er gegriffen hat. Einleitend erklingt eine turbulente achtstimmige Battaglia (Annibale Padovano), dann kommen Motetten und Madrigale (Lasso, Striggo, Cipriano di Rore, Andrea Gabrieli) in instrumentalen Besetzungen, wobei die Posaunenchöre schon mal in extremer Tiefe (bis zum Kontra-D) sich entfalten oder auch sanfte Gamben in Sopran- und Altlage den Ohren Erleichterung schaffen durften. Abwechslung mit viel Raffinement, das auf dieser CD wunderbar heraus kommt. Erst zum fünften Gang hat Lasso sich selbst und die Sänger ins Spiel gebracht: ein sechsstimmiges „Quid trepidas“, die Vokalisten von Gamben und Blockflöten sowie einem Cembalo gestützt: Es wird unter diesen Bedingungen den erlauchten Gästen des Festmahls nicht an Aufmerksamkeit für die Textgestaltung gerade in diesem Stück gemangelt haben, dessen Text ein Loblied auf den Bräutigam ist.