Die Mendelssohn-Geister, die er rief...
MOZARTWOCHE / CAMERATA / LANGRÉE
31/01/16 Hector Berlioz war nicht nur Komponist, sondern auch ein pointierter Schreiber. Mendelssohns reißerisches g-Moll-Klavierkonzert hat ihn auf die Idee einer Satire gebracht: Da dreht ein Klavier durch und beginnt ganz von alleine Mendelssohns g-Moll-Konzert zu rasseln. Weder mit Weihrauch noch mit der Axt ist diesen Geistern, die keiner rief, beizukommen...
Von Reinhard Kriechbaum
Angesichts der täglichen Mendelssohn-Dosis, wie man sie in der diesjährigen Mozartwoche verabreichte, hätte man sich einige Male einen Stab zum Wegzaubern gewünscht. Wäre aber eh vergeblich gewesen. Gewiss ist aber auch: Hätte Berlioz gehört, wie Alexander Melnikov eben dieses g-Moll-Konzert spielt, hätte er seine Satire nicht gerade daran aufgehängt.
Melnikow vereint in sich nämlich zwei Fähigkeiten, deren Verbindung genau recht kommt für dieses Stück. Er hat – zum Einen – die russische Virtuosenschule durchgemacht und bringt mithin die Brillanz, nach dem der Solopart verlangt, ohne alle Abstriche rüber. Aber Alexander Melnikov ist eben auch einer, der auf dem Feld der Alten Musik zuhause ist. In der Matinee mit der Camerata Salzburg am Samstag (30.1.) hat er sich auch in Sachen Mendelssohn als ein Stilist herausragenden Ranges bewiesen.
Natürlich, im Cello-schwangeren zweiten Satz des g-Moll-Konzerts finden viele seiner Kollegen zu schmeichlerischer Lyrik. Melnikow aber weiß das ur-romantische Wesen dieser Musik auch in den Ecksätzen aufzustöbern.
Da rasen die Finger dahin, und mit einem Atemzug kristallisieren sich völlig andere Szenerien, geprägt durch äußerste Ruhe. Das Nicht-Geradlinige, die jähen Wechsel der Launen und der Befindlichkeiten: Das hat in dieser Interpretation immer wieder nicht nur aufhorchen, sondern ernsthaft staunen lassen. Und es war bestens mitgetragen, unterestützt, aufgefangen durch die Camerata, die unter ihrem Chefdirigenten Louis Langrée mit äußerster Konzentration und Flexibilität agierte.
Zwei Pole Mozart'scher Symphonik: Das Erstlingswerk steht in Es-Dur und trägt die Köchel-Nummer 16. Louis Langrée lotet Möglichkeiten aus im Werk des Achtjährigen. Jeder Lauf bekam sein zielgerichtetes Crescendo oder Decrescendo, und die längeren Noten eine deutliche Messa di voce. Da waren die Ohren der Zuhörer mit Recht gespitzt aufs Kommende und wurden im Andante-Satz nicht enttäuscht, etwa angesichts der so sanft wie einprägsam formulierten Cello/Kontrabassmotive zu den von Hörnern und Oboen klanggeprägten Akkorden. Wird das so gespielt, dann nimmt man ganz ohne Skrupel das Wort „Schwesterwerk“ in den Mund für die große Es-Dur-Symphonie KV 543: Langrée und die Camerata in großzügigster Geber-Laune.
„Mystère de l'instant“ hat Henri Dutilleux ein Paul Sacher zugeeignetes Werk für Streicher, Cymbalon und Schlagzeug genannt. Eine Folge von zehn Miniaturen von einmal filigraner, dann, vor allem gegen Ende hin, auftrumpfender Farbenpracht. In Frankreich gibt es die „Spektralisten“, aber mit -Ismen welcher Art auch immer hatte der zeitlos-moderne Dutilleux nichts am Hut. Und deshalb brauchte er auch nicht „postmodern“ zu werden, als er dieses Werke zwischen 1986 und 1989 schrieb. Es ist überhaupt nicht populäre, aber mit Fug und Recht als solche zu bezeichnende „Moderne Klassik“.