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Dornröschen – schlaflos hinter der Hecke

MOZARTWOCHE / IL GIARDINO ARMONICO, ISABELLE FAUST

30/01/15 Alle fünf Mozart-Violinkonzerte hintereinander. Warum tut man sich das an, als Interpretin, als Zuhörer? Isabelle Faust ist den Marathon angegangen, assistiert von „Il Giardino Armonico“ unter Giovanni Antonini. Schön, dass es war. Und schön, dass es dann auch einmal aus war.

Von Reinhard Kriechbaum

Das Publikum ist, im Einzelnen merklich gebannt, gefolgt. Nur wenige haben in der zweiten Pause das Hasenpanier ergriffen. Das mag etwas heißen, hielt doch dieser Donnerstagabend (29.1.) das bisher mit Abstand Herausforderndste dieser Mozartwoche bereit: Die fünf Violinkonzerte zu spielen – das ist gedanklich/musikalisch etwa so, als ob jemand die Konzerte von Brahms, Tschaikowsky und Sibelius aneinander kettete, ohne den Bogen abzusetzen.

Ein im Grunde missbräuchlicher Umgang mit einem Werk-Block, der nie und nimmer zyklisch gedacht war? Manche Fragen knüpfen sich an ein solches Vorhaben, sie wurden aus der Interpretation heraus beantwortet.

Mozart selbst wäre wohl nie auf die Idee gekommen, seine Zuhörer mit einer solchen Geigen-Anthologie aus eigener Feder zu konfrontieren. Für Interpreten und Publikum heute ergibt sich freilich eine Chance, hautnah zu erleben, wie auch Mozart von Werk zu Werk gereift ist, wie er in dieser Werkgruppe (vier der fünf Konzerte sind im Abstand von jeweils zirka zwei Monaten entstanden) Schritt um Schritt origineller und souveräner geworden ist.

Werkstattcharakter hatte der Abend durchaus. Das kann gar nicht anders sein in dieser Musiker-Konstellation. „Il Giardino Armonico“ steht ja immer noch für eine so temperamentvolle wie handfeste Klangrednerei. Die starke musikalische Geste kommt für diese Musiker und ihren Anführer Giovanni Antonini allemal vor der Dogmatik, auch vor der aufführungspraktischen Erkenntnis. Und vor der Gruppen-Disziplinierung sowieso. Es war einfach eine Ur-Freude, Satz um Satz die Themen-Exposition zu genießen. Was fällt denen nicht alles ein! Wo setzen sie nicht überall innerhalb weniger Takte Hebel an, um die Ohren zu kitzeln und ein kommodes Plätschern oder einlullende Melodiosität erst gar nicht aufkommen zu lassen.

Isabelle Faust ist eine der leidenschaftlich Neugierigen. Mit ihrer „Dornröschen“-Stradivari (von 1704) wartet sie nicht darauf, sich von irgendwem wachküssen zu lassen. Dieses Dornröschen ist hellwach vom ersten Einsatz an. Selbstverständlich spielt Isabelle Faust die Tutti-Stellen mit, wo nur möglich. Engsten Augen-Kontakt hält sie mit dem Konzertmeister, so als ob man gerade erst zusammen gekommen wäre und nun begierig ist, die Ideen des Partners kennen zu lernen.

Mutig ist die junge Dame, selbstbewusst, aber absolut uneitel: Sie springt ab, gleichsam ins Ungewisse. Wenn ihr ein Piano richtig erscheint, dann lockt sie die blasenden und streichenden Partner auf dieses Terrain, und sei es klangliches Glatteis. Wenn ihr ein kräftiger Zugriff auf eine Phrase richtig erscheint, dann fragt sie nicht erst danach, ob die Darmsaiten da auch wirklich mitmachen (sie tun’s eh, meistens).

In einer Musikwelt, in der die Seele meist vergeblich der zum Götzenbild erhobenen Perfektion nachrennt, sind solcher Wagemut, solche Selbst-Entäußerung ganz rar. Die eine oder andere Bruchlandung, freilich – aber wie fiebert man als Hörer mit den Musikern mit, wenn in jedem Takt so viel Vitalität steckt! Dass man sich als Publikum dabei ertappt, den Spielern die Daumen zu halten: Das ist eine spezielle Konzert-Erfahrung.

Gradus ad parnassum: Auch Isabelle Faust sind die Werke unterschiedlich geläufig. Das auch von Kolleginnen und Kollegen eher weniger geliebte frühe B-Dur-Konzert KV 207 (von 1773) hat auch sie vermutlich seltener gespielt als die Knüller in G-Dur KV 216 und A-Dur KV 219 (von 1775). Letztere beiden Konzerte gingen der Solistin deutlich brillanter aus dem Fingern. Der Vergleich macht übrigens sicher: Mit welcher innerer Stringenz (und zu bewundernder Energie) Isabelle Faust das A-Dur-Konzert zu später Abendstunde durchlebte, ließ den Konzertmeister der Musiciens du Louvre, der das gleiche Stück zwei Tage zuvor am gleichen Ort wie Zuckerwatte bauschte, recht alt aussehen.

Von den beiden D-Dur-Konzerten KV 211 und KV 218 wirkt, so nebeneinander, das Frühere in Manchem wie ein Entwurf zum Nächsten.

Besser gleich gar nicht anfangen, von Details dieser Interpretation zu schwärmen. Aber wie Isabelle Faust die Alla-Turca-Turbulenz im dritten Satz des A-Dur-Konzerts mit einer Mini-Kadenz abfängt und fast spöttisch-banal einlenkt ins Menuett-Thema: Solch souveräne Gestaltungskraft muss ihr erst jemand nachmachen, in der dritten Konzerstunde. Unzählbar an diesem Abend die kleinen verzierten Überleitungen und größer entwickelten Kadenzen, gerade in den Finalsätzen. Lauter Dinge zum Aufhorchen, zum Staunen.

Ein paar Minuten durchatmen war zwischen den Konzerten für die Solistin angesagt: Da spielte das Orchester einen Haydn-Symphoniesatz, Glucks „Tanz der Furien“ und den „Fandango“ aus dessen „Don Juan“-Ballettmusik: reinster Sturm und Drang und als solcher in die Violinkonzert-Folge durchaus eigenwillig eingestreut. Auch das ein Signal: Die Violinkonzerte sind ihrerseits kein Süßstoff!

Eigenart eines Marathon ist’s, dass man aufatmet, wenn er vorbei ist. Ja, es war echt anstrengend, das Zuhören. Aber keine einzige der vielen, vielen, vielen Noten wollte man missen.

Bilder: ISM / Wolfgang Lienbacher

 

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