Die wundersame Schönheit bewegter Barock-Skulpturen
MOZARTWOCHE / DAVIDE PENITENTE
23/01/15 Wie mickrig nehmen sich doch sonst die Menschlein auf der Bühne der Felsenreitschule im Salzburger Festspielbezirk aus, vergleicht man mit den stattlichen Pferdekörpern! Für sie ist der Raum als ein Ort für Pferde-Kunst schließlich gemacht. Mozart und edle Vierbeiner aus Versailles: ein sehr stimmiger Auftakt für die Mozartwoche.
Von Reinhard Kriechbaum
Pferde passen da also genuin hin. Und wenn man mit ihnen so umgeht wie der am Tanz sich orientierende Rossebändiger Bartabas und seine Académie Équestre de Versailles, dann doppelt gut. Es ist eine andere Art des Dressurreitens als etwa in der Spanischen Reitschule. Machen dort die Sprünge und das Aufrichten auf die Hinterbeine gehörig Effekt, so geht es Bartabas konsequent um die „bodennahen“ (Tanz)Schritte. Ein besonderer ist jener, bei dem die Vorderläufe ganz hoch und weit nach vorne gespreizt werden. Bartabas‘ Pferde können natürlich auch im Rückwärtsgang grazil schreiten, sie bewegen sich geziert seitwärts und diagonal. Sie können das perfekt synchron in ausgeklügelten Gruppenformationen, die beim Publikum Respekt und Bewunderung hervorrufen. Man könnte ein Lineal anlegen…
Und die edlen Rösser sind disipliniert! So gut wie kein Schnauben, kaum ein Klirren des Zaumzeugs, null Hufgetrampel natürlich. Manch Profi-Konzert-Huster könnte sich ein Vorbild nehmen an den edlen Tieren, die für die Produktion „Davide Penitente“ obendrein ins rechte Licht gerückt sind. Ein Bravo auch dem Licht-Meister Bertrand Couderc, der die Anatomie der Pferdekörper auf ästhetisch vorteilhafteste Weise ausleuchtet: Das sind bewegte Barockskulpturen.
Marc Minkowski hat sein Dirigentenpult links vorne auf einem kleinen Podest. Musiker und Chor sitzen weit, weit weg in den steinernen Arkaden. Auch das im rechten Licht. Akustisch kommt alles glasklar rüber (für die Ohren des Publikums), aber die Ausführenden können ihre Partner nicht wirklich hören. Da müssen also alle auf Schlag und nicht auf Gehör spielen. Kammermusikalische Interaktion kann nicht sein, die Sänger haben einiges aufzulösen. Dass sich unter solchen Prämissen keine Sternstunde der Mozart-Interpretation ergeben kann, liegt auf der Hand. Auch nicht mit den Musiciens du Louvre Grenoble und dem Salzburger Bachchor, und auch nicht mit dem Solistentrio Christiane Karg, Marianne Crebassa und (mit großem qualitativen Abstand nach oben) dem Tenor Stanislas de Barbeyrac.
Ordentlicher Mozart. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. „Davide Penitente“ ist Mozarts eigenhändige Paraphrase auf die c-Moll-Messe, eine Unterlegung von Psalmtexten (in italienischer Nachdichtung). Dazu kommen Adagio und Fuge in c-Moll KV 546, die Bläser-intensive Maurerische Trauermusik KV 477 und ein langsamer Symphoniesatz. Starke Musik für bild-wirksame, perfekt ästhetisierte Pferde-Bewegung.
Die Reiterinnen und Reiter des Herrn Bartabas sind nicht bloß Bereiter, sondern darstellerische Allrounder. Sogar singen können die Damen (gottlob leiser als der Salzburger Bach-Chor), und wenn sie ihre Haare fliegen lassen, dann bekommen die Pferdemähnen ernsthafte Konkurrenz. Kein Kostüm-Firlefanz, auch das ist nämlich auf hoher Stufe ästhetisch erdacht: Die „Solisten“ auf weißen Pferden tragen graue Reitanzüge, schwarze Mäntel mit roter Innenfütterung das grauen Tiere reitende „Corps de Ballet“, das die Chorszenen umsetzt. Und Bartabas selbst bei seinem Solo zur Maurischen Trauermusik, auf seinem Lusitano: Ein Kapuzenmantel gibt der Erscheinung etwas sakral Mittelalterliches. In diesem Solo führt der reitende Chef der zwei- und vierbeinigen Compagnie das Bewegungsrepertoire ein, das dann in größerer oder intimerer Formation variiert wird.
Bartabas erzählt keine Geschichte. Im Almanach beschreibt er seine genuin musik-bezogene Intention: Den Kontrapunkt will er umsetzen, sichtbar machen. Das genaue Hinhören zeichnet seine Vierbeiner-Choreographie denn auch aus. Das Tempo der Schrittfolgen ist perfekt angeglichen dem Pulsschlag der Musik. Wie die Tempi der musikalischen Interpretation und jene der Bewegung übereinstimmen, fordert Respekt ab.
Vieles ist vorhersehbar: Wenn drei Solisten singen, ist natürlich ein Pas de trois der weißen Pferde angesagt. Aber genau diese Kongruenzen machen auch den Reiz aus. Es wird in dieser Produktion kein der Musik fremdes Gedankengebäude aufgebaut. Kunst darf auch einfach schön, stimmig – und in diesem Ambiente nun wirklich großzügig inszenierter Selbstzweck sein.